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Ernährung bei Rheuma: Wie eine Umstellung gelingt

| Hilfe
Gemüsespieß

Viele Betroffene stellen sich die Frage, ob sie ihre Ernährung umstellen sollen. Ernährungspsychologe Prof. Joachim Westenhöfer erklärt, wie eine Umstellung gelingt.

Kann man sich einfach von heute auf morgen gesund essen? Das sei nicht ganz so einfach – auch, wenn viele Medien und Erfahrungsberichte es anders glauben lassen, sagt der  Ernährungspsychologe Prof. Joachim Westenhöfer im Interview mit Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil".

Herr Prof. Westenhöfer, bei Rheuma, aber auch bei anderen Erkrankungen, stellen sich viele Betroffene die Frage, ob sie ihre Ernährung umstellen sollen. Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht?

Ich kenne dazu keine Erhebungen, kann mir aber das gut vorstellen, dass Menschen alles tun, um ihr gesundheitliches Problem in den Griff zu bekommen oder ihren Heilungsprozess zu unterstützen. Hinzu kommt, dass es wohl kaum ein Thema gibt, über das so viel Verunsicherung herrscht und so viele Mythen verbreitet werden. 90 Prozent aller Ernährungsratgeber sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden! Das gilt auch für Zeitschriften und fürs Fernsehen.

Egal, wie sensationell vermeintliche Erfolge mit einer bestimmten Ernährungsform dargestellt werden: Am Ende kochen doch alle nur mit Wasser. Das Rezept könnte wie folgt lauten: Man nehme Ratschläge für eine allgemeine gesunde Ernährung, verpacke sie mit einem neuen Schlagwort und bindet gewissermaßen ein neues Schleifchen darum – und schon hat man ein Thema, um das Riesenrummel gemacht und mit dem viel Geld verdient wird. Dabei muss man klar sagen: So viel gibt es zur Ernährung gar nicht zu sagen.

Warum? Es gibt doch enorm zahlreiche Studien zum Thema Ernährung?

Die wissenschaftliche Beweislage ist trotzdem relativ schlecht. Das liegt teilweise daran, dass man Ernährungsstudien nicht verblindet machen kann: Die meisten Menschen merken, ob sie ein Schnitzel essen oder nicht. Viele Studien sind retrospektiv, man wird also im Nachhinein zu den Ernährungsgewohnheiten befragt. Da wird es schon sehr ungenau. Und selbst wenn eine Studie wissenschaftlich guten Ansprüchen genügt, können viele Faktoren das Ergebnis verfälschen.

Außerdem gibt es bei Ernährung keine kurzfristige Rückkopplung: Ernährungsmitbedingte Erkrankungen wie ein Herzinfarkt, Diabetes oder Krebs machen sich erst nach vielen Jahrzehnten bemerkbar. Solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind schwer zu begreifen: Eine Ursache erhöht zwar das Risiko, aber es kann Ausnahmen geben. Mein akademischer Lehrer, Volker Pudel, hatte dafür immer ein schönes Bild von der Fußgängerampel: Es ist erwiesen, dass es gesünder ist, bei Grün über die Ampel zu gehen. Trotzdem wird nicht jeder, der bei Rot über die Ampel geht, automatisch angefahren – und es kann auch passieren, dass jemand, der bei Grün geht, einen Unfall erleidet.

Eigentlich weiß doch heutzutage jeder, wie man sich gesund ernährt. Warum hapert es für viele Menschen oft an der Umsetzung im Alltag?

Wir sehen tatsächlich in den verschiedenen Studien, dass das Grundwissen über eine gesunde Ernährung bei den meisten Menschen vorhanden ist. Natürlich gibt es jede Menge Irrtümer und Ideologien, etwa zum Thema Rohkost oder vegane Ernährung. Tatsächlich essen die meisten Menschen in Deutschland und in vielen anderen westlichen Ländern zu viele tierische Lebensmittel, also Fleisch, Wurst und Milchprodukte.

Es wäre für uns viel gesünder, unseren Konsum Richtung pflanzlicher Kost zu verschieben. Das heißt aber nicht, dass man gar keine tierischen Produkte mehr essen darf. Nur weniger! Mehr pflanzliche Kost wäre für unsere Gesundheit gut, aber auch für die Ressourcen unseres Planeten. In der Ernährung gibt es aber meist keine klare Schwarz-Weiß-Grenze. Die Wahrheit liegt oft in der goldenen Mitte. Aber das Abwägen, die Entscheidung für ein Mittelmaß, scheint vielen Menschen gedanklich schwerzufallen.

Klare Grenzen sind einfacher zu verarbeiten, als immer wieder abzuwägen und sich immer neu entscheiden zu müssen, denn jede bewusste Entscheidung kostet gedankliche Anstrengung. Das ist etwas, was Menschen nur begrenzt leisten wollen und können. Wenn ich zum Beispiel meine Ernährung ändern möchte, muss ich bei jeder Entscheidung meine Wahl mit dem Verstand kontrollieren: Esse ich jetzt dieses oder jenes, oder nicht? Es dauert teilweise sehr lange, bis diese kognitive Kontrolle nicht mehr nötig ist. Aus der Therapie von Übergewichtigen wissen wir, dass selbst ein Jahr oft nicht ausreicht, um die entsprechenden Automatismen in Gang zu setzen.

Viele Menschen, die zu einer bestimmten Ernährungsform gefunden haben, verteidigen diese oder versuchen, andere zu missionieren, nach dem Motto, bei mir hat es doch auch geholfen. Warum ist das so?

Das ist schwer zu sagen. Es ist eine gedankliche Vereinfachung, eine eigene Erfahrung zu einem Prinzip zu erheben. Oft werden Dinge falsch zugeordnet: Nur das zufällige Zusammentreffen von zwei Ereignissen sagt noch nicht zwingend etwas über Ursache und Wirkung aus. Aber es fällt offenbar vielen Menschen schwer, das nachzuvollziehen.

So entsteht übrigens auch Aberglaube: Wenn man zum Beispiel einmal unter einer Leiter hergeht und an dem Tag Pech hat, glaubt man, dass es daran lag. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren oft leidvoll erleben müssen, wie sich Menschen manchmal einen merkwürdigen Reim auf manche Dinge machen.

Wenn ich meine Ernährung umstellen will – wie kann mich die Psychologie unterstützen?

Nehmen Sie sich kurzfristig möglichst konkrete Vorsätze vor – nicht: Ab jetzt esse ich gesünder. Besser ist es, zu sagen, ich will mehr Obst und Gemüse essen. Noch besser ist es, ganz konkret zu sagen: Beim heutigen Abendessen esse ich zum Käsebrot noch eine Tomate und drei Scheiben Gurke. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich den letzten Vorsatz wirklich in die Tat umsetze, ist am höchsten.

Es hilft außerdem, erreichte Veränderungen bewusst wahrzunehmen, zu protokollieren und sich dafür zu belohnen. Menschen brauchen eine positive Verstärkung für ihre Veränderung. Viele Menschen neigen dazu, nach dem Hauruckprinzip „Ab jetzt nur noch gesund“ zu verfahren. Das Prinzip der kleinen Schritte funktioniert im Alltag aber viel besser. Man kann zum Beispiel erst einmal eine Mahlzeit in der Woche oder am Tag anders als gewohnt gestalten.

Wenn man weniger Fleisch essen möchte, könnte man sich auch wie früher den Braten für den Sonntag aufheben und an den anderen Tagen die Hauptmahlzeiten anders gestalten – montags ist zum Beispiel Süßspeisentag, freitags gibt es Fisch und samstags einen Eintopf, ganz wie früher.

Zur Person: Prof. Joachim Westenhöfer ist Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Broschüre "Ernährung bei Rheuma"

Die Broschüre "Ernährung bei Rheuma" der Deutschen Rheuma-Liga zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Ernährung bei Rheuma und gibt Tipps für den Alltag. Sie können den Ratgeber bei Ihrem Landes- oder Mitgliedsverband oder über den Publikationsshop auf der Internetseite bestellen.