Kannst du mal eben …? Könntest du einspringen …? Vielen Menschen fällt es schwer, Bitten abzulehnen. Christiane Wendel, Redakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", sprach darüber mit der Kommunikationstrainerin Kasandra Einig.
Frau Einig, wann haben Sie das letzte Mal Nein gesagt?
Ich war vor Kurzem im Urlaub. Mein letztes Nein war ein Nein zum Dessert - das fiel mir wegen all der Köstlichkeiten vorher so gar nicht schwer.
Was passiert, wenn man sich zu viele Aufgaben auflädt und nicht Nein sagen kann?
Die Frage ist an der Stelle immer: „Was ist zu viel?“. So wird es Menschen geben, die über lange Zeit viele Themen und Aufgaben übernehmen, ohne an eine Überlastung zu geraten. Andere wiederum erreichen diesen Punkt vielleicht schon sehr schnell.
Je nach Lebenssituation und -phase nehme ich Belastung anders wahr. Klar ist, wer in seinem individuellen Empfinden „zu viel“ übernimmt oder sich auflädt, gerät ab einem bestimmten Punkt unter Stress, empfindet Druck und verlässt seinen Wohlfühlbereich. Fakt ist – auch wenn viele es nicht gern hören: Wie viel ich mir auflade, bestimme ich immer selbst!
Vielen Menschen fällt es schwer, eine Bitte abzulehnen, andere können sich besser abgrenzen. Kann man das Neinsagen auch lernen?
Wie in allen Lebensbereichen gibt es Menschen, die etwas besser oder weniger gut können als andere. Nein sagen ist eine Form des Umgangs mit meinen Bedürfnissen und den Bedürfnissen anderer Menschen. Nein sagen kann ich jederzeit lernen und üben. Der Anfang könnte sein, sich selbst zu fragen und zu beobachten, was mich eigentlich davon abhält, Nein zu sagen. Gibt es zum Beispiel bestimmte Menschen, bei denen es mir schwerer fällt?
Ja sagen fällt uns allen leicht. Warum ist es umso wichtiger, auch mal Nein zu sagen?
Fällt uns Ja sagen wirklich immer leicht oder leichter als ein Nein? Wenn ich beispielsweise einen übervollen Schreibtisch habe, sich Termine häufen und mir der Tag schon zu kurz erscheint, dann fällt mir ein Ja zu einer Bitte nicht wirklich leichter als ein Nein.
Der Kontext sollte immer betrachtet werden, auch wenn andere Nein zu meinen Bitten sagen. Nein zu sagen, ist dann geboten, wenn ich für mich feststelle, dass die Bitte eines anderen mir unangenehme Gefühle verursacht. Das kann zum Beispiel an der Art der Bitte liegen, die an mich herangetragen wird. Es kann auch am Inhalt oder an der Person liegen, an der Situation oder an meiner Tagesform – oder an allem gleichzeitig.
Wichtig ist: Ich bin für mich selbst verantwortlich. Wenn ich merke, ein Ja würde mir Unbehagen bereiten, dann sollte ich für mich verantwortlich handeln und in Selbstfürsorge abwägen, ob ich der Bitte nachkommen kann und will oder ob ich ablehne. Bitten werden immer wieder an einen herangetragen. Wie ich damit umgehe, liegt aber in meiner Verantwortung. Ein Nein zur Bitte kann also ein Ja zu mir selbst sein und dient der Selbstfürsorge.
Wie gelingt es mir, Nein zu sagen? Kann ich das üben?
Manchmal hilft es tatsächlich, ein Nein in kleinen Themen zu üben und sich dann an die größeren Herausforderungen zu wagen. Vielleicht fällt es mir leichter, Nein zu sagen, wenn ich das nächste Mal noch einen Nachschlag beim Essen angeboten bekomme, anstatt aus Höflichkeit noch eine Portion zu essen. Es gibt viele kleine Übungsfelder im Alltag. Einfach einmal anfangen, ausprobieren, wieder ausprobieren und noch mal ausprobieren, bis ich für mich einen Weg gefunden habe.
Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich eine Bitte ablehne?
Ich bleibe bei mir, bleib du bei dir. Soll heißen: Ich bin für meine Gefühle verantwortlich und der andere für seine. Es ist ja erst einmal nur ein Zustand, eine Situation. Wie ich diese bewerte, liegt ganz an mir. Das gilt auch für mein Gegenüber. Wichtig ist, wie in allen Lebenslagen, eine Begegnung mit Wertschätzung zu pflegen. Dann kann ich ein Nein oft auch besser annehmen.
Wie kann ich mich richtig abgrenzen? Haben Sie Tipps?
Nein sagen heißt nicht automatisch abgrenzen. Ein Nein gilt meist ja nur einer Sache, aber nicht der Beziehung zwischen mir und meinem Gegenüber oder der Person.
Die Frage ist: Was will ich? Möchte ich dieser Bitte nachkommen? Schaffe ich das? Geht es mir noch gut damit? Erst die Gesamtsituation überblicken und dann zu- oder absagen. Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich kurz Zeit nehmen. Nicht immer direkt reagieren! Erklären, warum man Nein sagt, ständnis schaffen. Beispielsweise: „Es tut mir leid, ich kann deinen Sohn heute nicht mit zum Fußballtraining nehmen. Der zeitliche Umweg kollidiert leider mit einem vorangehenden Termin. Beim nächsten Mal wieder gerne.“ Oder: „Nein, ich möchte heute nicht mitkommen. Tatsächlich bin ich heute noch verabredet/müde/etc. Gerne ein andermal.“ Wer möchte, kann solche Alternativen anbieten – vorausgesetzt, die Alternative passt mir auch.
Welche positiven Vorteile bringt es, wenn ich aus der Gewohnheit, immer Aufgaben zu übernehmen und Ja zu sagen, ausbreche?
Vermutlich ganz viele neue Möglichkeiten, meine neu gewonnene Zeit ganz wunderbar für mich und die Themen, die mir wichtig sind, einzusetzen. Und ich bin vermutlich viel zufriedener mit mir und meiner Lebenssituation.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 6-2022. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift kostenlos direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).