Frau Stefan-Schick, laut der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Nationalen Empfehlung für Bewegung sollte man sich mindestens 150 Minuten pro Woche bewegen. Viele denken: Das schaffe ich doch nie. Wie kann es gelingen, das Pensum zu erreichen?
Zunächst einmal sollte man wissen: 150 Minuten Aktivität pro Woche stellen das absolute Minimum zur Gesunderhaltung dar. Es darf gern mehr sein! Wenn ich mich dauerhaft deutlich weniger bewege, hat das aber Folgen: Das Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen erhöht sich, Diabetes und Arterienverkalkung treten womöglich früher auf, ebenso Venenschwäche und andere Krankheiten, die auf Bewegungsmangel zurückgehen.
Bewegung ist das A und O zur Gesunderhaltung und ist die einzige Möglichkeit, bestimmte Strukturen in unserem Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Dazu gehören etwa Knorpel oder Bandscheiben. Einen besonderen Effekt hat Bewegung auch auf unser Immunsystem. Neuere Studien belegen, dass Muskeltraining entzündungshemmende Wirkung hat. Bewegung hat aber auch ganz direkte Folgen auf unsere Befindlichkeit und unseren Alltag, zum Beispiel unsere Mobilität: Je weniger ich mich bewege, desto schwerer fällt mir Aktivität.
Irgendwann merke ich womöglich, dass mir Alltagstätigkeiten wie Treppen steigen immer schwerer fallen. Andersherum wird Bewegung zum Kinderspiel, wenn ich mich regelmäßig aufraffe und auch im Alltag auf ausreichend Aktivität achte. Laut der Weltgesundheitsorganisation zählen schon Einheiten von zehn Minuten, in denen ich mich moderat anstrenge. Alles ist besser, als auf dem Sofa zu sitzen!
Wenn ich also zum Beispiel merke, dass es mir schwerfällt, eine Treppe zu steigen, soll ich mich erst recht anstrengen, damit mir die Belastung künftiger leichter fällt?
Genau! Alle unsere Systeme – Herz, Kreislauf, Nerven, Stoffwechsel, Knochen, Gelenke und Muskeln – sind darauf ausgelegt, dass sie regelmäßig aktiviert werden. Wenn ich also merke, dass es mir schwerfällt, Treppen zu steigen, darf die Lösung nicht darin bestehen, dass ich diese Anstrengung vermeide. Stattdessen sollte ich meinem Körper bewusst Anreize geben, um mehr Kraft in den Beinen aufzubauen und mein Herz-Kreislauf-System zu trainieren, damit ich diese Belastung künftig leichter meistern kann.
Was passiert beim Training im Körper?
Unser Körper ist sehr anpassungsfähig und auch sehr ökonomisch. Das spüren wir zum Beispiel, wenn wir Dinge tun, die nicht alltäglich sind: eine längere Wanderung zum Beispiel oder schwere Gartenarbeit. Bin ich das nicht gewohnt, reagieren meine Muskeln auf die ungewohnte Tätigkeit vielleicht mit Muskelkater. Das zeigt: „Das war zu viel, darauf waren wir nicht vorbereitet.“
Aber nachdem der Körper den „Kater“ überstanden hat, baut er vor, für den Fall, dass eine solche Belastung wieder auf ihn zukommt. So wird zum Beispiel dafür gesorgt, dass Muskelfasern besser zusammenspielen oder sogar neue Strukturen aufgebaut werden. Beim nächsten Mal wird die Belastung daher als geringer empfunden. Unser Körper sorgt auf natürliche Weise dafür, dass wir uns weniger anstrengen müssen.
Das funktioniert aber nur, wenn die Abstände zwischen den Belastungen nicht zu lang werden. Wer nur einmal pro Woche eine Treppe steigt, wird die positiven Effekte nicht zu spüren bekommen. Dazu wäre es gut, mindestens alle zwei bis drei Tage eine Treppe rauf- und runterzugehen.
Viele Menschen versuchen, sich möglichst wenig anzustrengen. Wie kann man gegensteuern?
Es ist normal, dass wir etwas vermeiden, was uns schwerfällt. Wie schon erwähnt, arbeiten wir sehr ökonomisch – sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Früher war das ein echter Vorteil. Heutzutage ist es eher umgekehrt: Nicht zu viel, sondern zu wenig Bewegung macht uns krank.
Das Wissen um diese Zusammenhänge nennen wir Gesundheitskompetenz. Das bedeutet zum Beispiel, dass man ganz bewusst bemerkt, wenn man anstrengende Situationen vermeidet, und aktiv gegensteuert. Ganz nach dem Motto: Jetzt erst recht! Es geht darum, die körperliche Belastung neu zu beurteilen: Statt „Oje, jetzt muss ich wieder die steile Treppe gehen“, sage ich mir: „Super, das ist meine nächste Bewegungseinheit!“.
Für Menschen mit akuten Beschwerden wird das nicht immer möglich sein, diesem Rat zu folgen. Was können Betroffene tun?
Natürlich muss man alles immer im Rahmen des Möglichen machen und ganz bei sich selbst bleiben. Wer gerade im akuten Schub oder frisch operiert ist, sollte gut auf die Signale seines Körpers und seine Grenzen achten – und nach der akuten Phase möglichst schnell wieder in Bewegung kommen. Wer sehr ängstlich ist, der sollte sich nach einer längeren Phase der Inaktivität von Physio- oder Bewegungstherapeuten dabei unterstützen lassen, das richtige Maß für die Belastung zu finden.
Viele Rheumatiker kennen ihren Körper und ihre Krankheit hervorragend und können das gut für sich einschätzen. Es ist wichtig, zu wissen, dass wir unseren Körper nicht dauerhaft schonen dürfen. Das schadet mehr, als es nutzt. Wir müssen verstehen, dass unsere Bequemlichkeit und ein bewegungsarmer Alltag dazu führen, dass viele Menschen Erkrankungen bekommen, die mit einem aktiven Lebensstil vermeidbar wären. Deshalb sollten wir jede Gelegenheit nutzen, uns im Alltag zu bewegen, am besten mit einem Lächeln im Gesicht und dem Wissen, dass wir uns damit wirklich etwas Gutes tun.
Zurück zu den 150 Minuten der Weltgesundheitsorganisation: Welche Bewegung zählt dazu?
Alle Aktivitäten, bei denen ich das Gefühl habe: Mir wird warm, der Puls geht hoch und der Atem wird schneller oder intensiver. Das muss nicht unbedingt Sport sein, das können auch normale Alltagsbewegungen sein, wenn ich Brötchen hole, staubsauge oder fege, Rasen mähe oder Treppenstufen steige. Die WHO empfiehlt, sich pro Woche mindestens 150 Minuten auf diese Weise zu belasten. Wenn ich aber richtig stark ins Schwitzen komme, etwa beim schnellen Walken, Radfahren, Tanzen oder in der Trocken- und Wassergymnastik, darf ich die Zeit verkürzen auf mindestens 75 Minuten.