Stress, Depressionen und Immunabwehr hängen eng zusammen. Stress macht krank! Diese Aussage ist einfach und kompliziert zugleich. Einfach, weil sicherlich viele Menschen diese Aussage bestätigen können. Kompliziert wird es aber, wenn man die Ursachen für diese Aussage erforschen möchte. Dazu muss man sich zuerst einmal klarmachen, wie Stress auf den Körper wirkt. Bei physikalischem Stress hängen Ursache (also der Stressor) und Wirkung direkt zusammen: Bei hohen Temperaturen beispielsweise fängt der Körper an zu schwitzen. Bei psychischem Stress ist dieser Zusammenhang oft indirekt. Zwischen der Ursache und der Stressantwort steht eine individuelle Beurteilung der Situation. Diese Einordnung bestimmt maßgeblich die körperliche Stressantwort.
Da dies individuell unterschiedlich ist und von persönlichen Erfahrungen, Einschätzungen und Ressourcen abhängt, kann die gleiche Stresssituation bei zwei Personen ganz unterschiedliche Antworten auslösen. So kann ein Bühnenauftritt vor vielen Zuschauern für den einen der reine Albtraum sein, für den anderen aber einen Glücksmoment darstellen. Dies macht die Erforschung von Stressantworten deutlich komplizierter, da der gleiche Stressor nicht immer die gleiche Antwort auslöst. So lässt sich erklären, dass verschiedene Studien unterschiedliche Effekte von Stress auf das Immunsystem finden.
Ein altes Erbe der Evolution
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Stress. Die Antwort auf akuten Stress kann man oft mit der evolutionär sehr alten Kampf-oder-Flucht-Reaktion erklären: Der Körper sieht sich einer gefährlichen Situation ausgesetzt und reagiert mit der Ausschüttung von Stresshormonen. Diese versetzen den Körper in Alarmbereitschaft zur Vorbereitung auf einen möglichen Kampf oder eine Flucht. Auch das Immunsystem reagiert und bereitet sich auf Verletzungen und damit einhergehende Infektionen vor. So kann man erklären, dass akuter Stress oft stimulierend auf das Immunsystem wirkt – die Anzahl und die Funktion verschiedener Immunzellen im Blut kann erhöht sein. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum man trotz einer Stressbelastung vor wichtigen Ereignissen wie einer Prüfung oft vor Infektionen geschützt ist – nur, um dann nach dem Ereignis zu erkranken.
Das verdeutlicht, dass akuter Stress zwar das Immunsystem ankurbelt – aber auch, dass diese Stimulation nicht beliebig lange erfolgen kann. Tatsächlich verkehren sich die positiven Effekte auf das Immunsystem bei chronischer Stressbelastung ins Negative: Die Anzahl verschiedene Immunzellen im Blut nimmt ab, ihre Aktivität ist eingeschränkt und die Abwehrreaktionen auf Erreger funktionieren nicht mehr so gut. Zusätzlich berichten Mediziner in Studien an chronisch gestressten Personen oft davon, dass sie erhöhte Entzündungsparameter im Blut der Probanden gefunden haben.
Die Rolle von Adrenalin und Kortisol
Wie kann das Nervensystem, das ja für die Beurteilung der Stressreaktion und somit auch für die Stress-antwort verantwortlich ist, das Immunsystem beeinflussen? Wissenschaftler kennen am besten den Zusammenhang zwischen Stresshormonen und Immunzellen. So führt akuter Stress unter anderem zu einer Ausschüttung von Adrenalin. Verschiedene Immunzellen können direkt auf Adrenalin reagieren und die Art und Weise verändern, wie sie reagieren. Zusätzlich führt eine Stressbelastung zur Ausschüttung des Stresshormons Kortisol. Kortisol hat auch direkte Auswirkungen auf Immunzellen. So kann es unter anderem dazu führen, dass Immunreaktionen abgeschwächt werden. Durch diese und andere Mechanismen beeinflusst Stress das Immunsystem und reduziert die Immunreaktionen unter chronischem Stress. Dies hat wiederum zur Folge, dass bei chronischem Stress vermehrt Infektionen und andere Krankheiten auftreten.
Chronischer Stress schlägt auf die Stimmung
Die Verbindung zwischen Nervensystem und Immunsystem ist aber keine Einbahnstraße. Eine vermehrte Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen wie Interleukin-6 durch Immunzellen bei chronischem Stress kann auch Effekte im Gehirn haben: Sie können beispielsweise die kognitive Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen. Depressionen können unter anderem auch durch chronischen Stress entstehen. Bei betroffenen Patienten mit dieser Kombination diskutieren Ärzte, dass erhöhte Mengen an Entzündungsbotenstoffen auch das Verhalten der Patienten beeinflussen können. Somit wären immunologische Effekte sogar die Ursache für Veränderungen im Nervensystem. Auch bei der rheumatoiden Arthritis ist bekannt, dass Stress einen Einfluss auf Krankheitsaktivität und Symptome haben kann.
Mehrere Studien haben zeigen können, dass wiederholter Stress Auswirkungen auf Krankheitsaktivität, Erschöpfungserscheinungen und Gelenkschmerzen haben kann. Stress und persönliche Probleme können auch die Konzentration von Entzündungsbotenstoffen wie Interleukin-1-beta und Interferon-gamma erhöhen. Jedoch sind die Konzentrationen von Interleukin-1-beta, Interferon- gamma oder die des Stresshormons Kortisol nicht ausreichend, um eine verlässliche Voraussage über den Krankheitsverlauf zu machen. Dies verdeutlicht, dass es zusätzliche Mechanismen geben muss, mit denen das Nervensystem bei Stress und Problembewältigung den Krankheitsverlauf einer Arthritis beeinflussen kann.
Botenstoffe vermitteln Stressantworten
In den vergangenen Jahren haben Forscher herausgefunden, dass Zellen in den Gelenken auch Rezeptoren für Neurotransmitter besitzen, also Andockstellen für Botenstoffe des Nervensystems. Über diese Rezeptoren kann das Nervensystem durch die Ausschüttung von Neurotransmittern auch die Entzündung in den Gelenken beeinflussen. Ein Beispiel ist die sogenannte Substanz P, ein Botenstoff der sensorischen Nerven, die Sinnesreize zum Gehirn leiten. Die Stimulation von Andockstellen dieses Botenstoffs kann eine Entzündungsreaktion verstärken, indem vermehrt Immunzellen in das Gelenk gelockt werden. Doch es gibt auch hemmende Mitspieler in diesem System, zum Beispiel Andockstellen für den Neurotransmitter Acetylcholin aus dem sogenannten parasympathischen Nervensystem. Acetylcholin kann Entzündungsvorgänge zumindest in der frühen Phase der Krankheit unterdrücken.
Leider ist die Aktivität des parasympathischen Nervensystems in der frühen Krankheitsphase oft unterdrückt, sodass auch die entzündungshemmende Aktivität unterbleibt. Es gibt noch weitere Rezeptoren für Neurotransmitter des sympathischen Nervensystems, die eine wichtige Rolle bei Gelenkentzündungen spielen. Dazu gehören Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Die Andockstellen für Adrenalin und Noradrenalin werden als adrenerge Rezeptoren (AR) bezeichnet und werden in alpha- und beta-AR eingeteilt. Während die Stimulation von alpha-AR Entzündungsreaktionen verstärken kann, haben beta-AR den gegenteiligen Effekt. Im Verlauf der chronischen Gelenkentzündung dominieren jedoch die alpha-AR, was Entzündungsvorgänge weiter verstärken kann.
Ein weiterer Mitspieler: Dopamin
In den vergangenen Jahren haben Arbeiten unserer Forschungsgruppen gezeigt, dass Zellen im Gelenk von Arthritisbetroffenen auch Rezeptoren für Dopamin tragen. Die Stimulation dieser Rezeptoren bewirkt eine verstärkte Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen und ist so an der Gelenkschädigung beteiligt. Aktuell untersuchen wir die Rolle von Dopamin beim Knochenabbau, da Dopaminrezeptoren auch im Knochen von Arthritispatienten verstärkt vorkommen.
Unsere bisherigen Ergebnisse lassen vermuten, dass Dopamin auch eine Rolle bei der Entstehung von Osteoporose bei Arthritis spielt. Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Nervensystem auf verschiedene Weise das Immunsystem beeinflussen kann. Das Vorhandensein von Rezeptoren für Neurotransmitter in den Gelenken von Arthritispatienten lässt einen direkten Einfluss des Nervensystems auf den Krankheitsverlauf vermuten. Daher wird es für die Zukunft wichtig sein, zu verstehen, wie die verschiedenen Neurotransmitter den Krankheitsverlauf verändern können. Möglicherweise ergeben sich daraus künftig neuartige Therapieansätze.
GUT ZU WISSEN
Parasympathisches und sympathisches Nervensystem
Das parasympathische Nervensystem gehört zum vegetativen (autonomen) Nervensystem und übernimmt die unwillkürliche Steuerung der meisten inneren Organe und des Blutkreislaufs. Seine Aktivität dient unter anderem der Erholung. Sein Gegenspieler ist das sympathische Nervensystem, dessen Rolle in der Aktivierung vieler Körperfunktionen besteht.
Zu den Autoren
Der Biologe PROF. CARSTEN WATZL leitet den Forschungsbereich Immunologie der Technischen Universität Dortmund.
DR. SILVIA CAPELLINO leitet dort die Nachwuchsgruppe Neuroimmunologie,
DR. MAREN CLAUS ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.