Nach zwei Onlinekongressen aufgrund der Pandemie tagte die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) erstmals wieder in Berlin – und feierte auch gleich ihr Jubiläum: Es war der 50. Kongress der Fachgesellschaft mit vielen Neuigkeiten aus der Wissenschaft.
Rheumatologie zum Anfassen
Der Deutsche Rheumatologenkongress umfasst außerdem die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie und der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie. Deshalb gab es wie immer drei Kongresspräsidenten: Prof. Andreas Krause fungierte als Gastgeber für die DGRh, Prof. Andreas Niemeier für die Orthopädischen Rheumatologen und Prof. Kirsten Minden für die Kinderund Jugendrheumatologie.
Über 2.760 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren live nach Berlin gekommen. Außerdem bestand die Möglichkeit, sich zu ausgewählten Vorträgen online hinzuzuschalten. Insgesamt gab es 430 Vorträge und 286 Poster mit Neuigkeiten aus der Forschung.
Auf neuen Wegen
In Berlin bemühten sich die Fachgesellschaften, den Kongress deutlich nachhaltiger als bisher zu gestalten – so enthielt das Kongressticket eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr, es gab Mehrweggeschirr und verstärkt saisonale, regionale, biologische und fair produzierte Lebensmittel.
Außerdem hielt der Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif einen viel beachteten Festvortrag zum Thema Klimawandel. Auch das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie hielt Einzug: So gab es erstmals eine Kinderbetreuung.
Neues zu Corona
Der Immunologe Prof. Leif Erik Sander aus Berlin gab ein Update zum Thema Coronaschutzimpfung (Mehr lesen zum Thema "Impfstoffe gegen Corona: Hinweise für Rheumabetroffene): Er zeigte Daten, wonach nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall oder Herzinfarkt deutlich erhöht ist.
„Geimpfte müssen nach wie vor deutlich seltener ins Krankenhaus als Ungeimpfte“, betonte er. Eine dritte Impfung erhöhe die Zahl der Antikörper deutlich und schütze damit auch vor der Omikron-Variante. „Der Booster macht den Unterschied!“ Zwar infizieren sich viele Menschen trotz der Impfung mit SARS-CoV-2 und haben auch Symptome. Doch die Impfung senke nach wie vor die Sterblichkeit, insbesondere für ältere Menschen. Und auch eine „Durchbruchsinfektion“ habe etwas Gutes: Sie wirke wie eine Boosterimpfung.
Für Eltern gibt es eine gute Nachricht: PIMS – eine seltene, schwere Entzündungsreaktion bei Kindern nach überstandener Coronainfektion – tritt nach Infektionen mit der Deltaoder Omikron-Variante seltener auf als beim ursprünglichen SARS-CoV-2-Virus. Auch Post-Covid-Symptome wie anhaltende Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche treten bei den jüngeren Varianten des Virus seltener auf, betonte Privatdozent Dr. Christian Hedrich aus Liverpool. Außerdem verbessere Vitamin D die Immunantwort und könnte die Vermehrungsrate von SARS-CoV-2 im menschlichen Körper reduzieren. Insgesamt scheine ein hoher Vitamin-D-Spiegel mildere Verläufe zu begünstigen.
Operation im Fachzentrum
Dank immer besserer Medikamente ist die Zahl der Operationen bei Rheumabetroffenen stark gesunken und meist erst im späteren Lebensalter nötig. Doch weil die Eingriffe seltener werden, ist es wichtig, dass Betroffene mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sich in spezialisierten Zentren operieren lassen. Darauf wies Prof. Andreas Niemeier vom Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift bei Hamburg hin. Mittlerweile gibt es neun Fachzentren in Deutschland, die ein Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie erhalten haben.
Lunge im Blick
Eine Lungenbeteiligung – interstitielle Lungenerkrankung oder kurz ILD genannt – kann zu jedem Zeitpunkt der rheumatischen Erkrankung neu entstehen (Mehr zum Thema "Lungenfibrose"). Insgesamt haben zum Beispiel zwei Drittel aller Betroffenen Veränderungen in der Lunge. Darauf wies Kongresspräsident Prof. Andreas Krause hin. Manchmal entstehe die Lungenbeteiligung sogar noch vor der Rheumadiagnose.
Bei jeder neu diagnostizierten ILD solle daher auf eine möglicherweise zugrundeliegende rheumatische Erkrankung geachtet werden. Umgekehrt sollten alle Rheumapatientinnen und -patienten auf eine mögliche Lungenbeteiligung hin untersucht werden. Dabei müssen mindestens die Lunge abgehört und mögliche Symptome wie Husten oder Luftnot abgefragt werden. Mittlerweile gibt es bei einer Lungenbeteiligung Medikamente, die das Voranschreiten einer bindegewebsartigen Veränderung in der Lunge (Fibrose) verhindern können.
Augen auf bei JIA
Die Möglichkeiten für die Diagnose und Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) haben sich deutlich verbessert. Trotzdem habe jedes zweite Kind mit JIA mit Langzeitfolgen zu kämpfen, betonte Prof. Kirsten Minden aus Berlin. Meist entzündet sich bei betroffenen Kindern die mittlere Augenhaut (Uvea) im vorderen Bereich des Auges.
Eine sogenannte Uveitis ist gefährlich, weil man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann und sie häufig auch keine Beschwerden verursacht. Sie kann allerdings die Sehkraft dauerhaft beeinträchtigen oder sogar zur Erblindung führen. Dabei können Augenbeteiligungen meist gut behandelt werden, wenn sie früh genug erkannt werden.
Als „alarmierend“ bewertet Prof. Minden allerdings die weitere Zunahme der Augenkomplikationen im Verlauf der Therapie. Im Beobachtungszeitraum von fünf Jahren hatte fast jedes zweite Kind Komplikationen wie entzündungsbedingte Verklebungen von Iris und Linse, einen grauen Star oder einen erhöhten Augeninnendruck bis hin zum grünen Star.
Solche Augenprobleme können Folge der Entzündung sein, treten allerdings auch als Nebenwirkungen von Kortison auf. Es gelte, die langfristige Behandlung mit glukokortikoidhaltigen Augentropfen kritisch zu hinterfragen: Laut ICON bekamen über 40 Prozent der Kinder, bei denen die Augenentzündung abgeklungen war, nach fünf Jahren weiterhin kortisonhaltige Augentropfen. Um Augenkomplikationen zu vermeiden, empfiehlt Prof. Minden eine Augenuntersuchung unmittelbar nach der JIA-Diagnose. Wie oft betroffene Kinder im Anschluss an die Diagnose zusätzlich zum Augenarzt müssten, soll individuell für jedes Kind festgelegt werden.
Patiententag: Hautnah an der Wissenschaft
Wissenschaftliche Informationen aus erster Hand, aber auch Austausch, Miteinander und sogar Bewegungsübungen – das bot der Patiententag der Rheuma-Liga, der mittlerweile fester Bestandteil des Rheumatologenkongresses ist.
Zunächst eröffnete Kongresspräsident Prof. Andreas Krause den Infotag. Prof. Dirk Föll aus Münster berichtete über Neues aus der Kinderrheumatologie. Ein früher Einsatz einer Basistherapie, etwa mit Biologika, erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene Mädchen und Jungen einen beschwerdearmen Zustand (Remission) erreichen.
Allerdings gebe es noch Nachbesserungsbedarf – so gebe es noch kein Treat-to-Target-Konzept für Kinder. Darunter versteht man konkrete Ziele bei der Verbesserung der Krankheitsaktivität, die erreicht werden müssen – um ansonsten ein nicht ausreichend wirksames Medikament zu wechseln.
Basistherapie, Biologika, Biosimilars?
Neues aus der Erwachsenenrheumatologie war das Thema von Prof. Wolfgang Schmidt aus Berlin. Er gab einen Überblick über die aktuell zugelassenen Basistherapien und erklärte den Unterschied zwischen Biologika und Biosimilars.
Wissenswertes aus der rheumatologischen Orthopädie präsentierte Prof. Andreas Niemeier aus Hamburg. Er erklärte das Phänomen des „rebellischen Gelenks“: Die Basistherapie wirkt gut, doch ein Gelenk scheint sich zu widersetzen und bleibt entzündet. In solchen Fällen könne man die entzündete Gelenkhaut operativ entfernen und so die Entzündung sowie die Gelenkzerstörung stoppen.
Allerdings schmerze ein betroffenes Gelenk womöglich kaum – deshalb sei eine Ganzkörperuntersuchung beim Orthopäden einmal im Jahr sehr wichtig. Weiter ging es mit einem Vortrag von Prof. Bimba Hoyer aus Kiel, die über brandaktuelle Entwicklungen in der Immunologie sprach.
Nach einer Mittagspause mit vielen Gesprächen folgte das verspätete Grußwort von Präsidentin Rotraut Schmale-Grede, die auf dem Kongress noch eine Verpflichtung hatte. Im Anschluss trug Prof. Christof Specker aus Essen vor, wie es mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen bestellt ist. In den Pausen nutzten viele Gäste die Möglichkeit, den Referentinnen und Referenten Fragen zu stellen.
Preiswürdiger Abschluss
Präsident Dr. Helmut Sörensen ließ die fünf Jahrzehnte der Rheuma-Liga-Selbsthilfe in Berlin in einem Vortrag Revue passieren. Zum Abschluss erfolgte die Preisverleihung der Stiftung Wolfgang Schulze. Ermöglicht wurde der Patiententag durch Novartis Pharma, AbbVie Pharma, Lilly Deutschland, Boehringer Ingelheim und UCB Pharma.
Rheuma-Liga: Für Sie im Einsatz
Die Deutsche Rheuma-Liga hat sich in vielfältiger Hinsicht auf dem Rheumatologenkongress engagiert: Präsidentin Rotraut Schmale-Grede sprach ein Grußwort und leitete gemeinsam mit Dr. Martin Krusche eine wissenschaftliche Sitzung zum Thema „Gesundheitskompetenz – verstehen und verstanden werden“.
Zu diesem Thema sprach sie auch auf der Pressekonferenz des Kongresses. Vizepräsidentin Corinna Elling-Audersch hielt einen Vortrag über „Gesundheitskompetenz aus Sicht der Patientin/des Patienten“. Bayerns Vizepräsidentin und Rheumafoonerin Natascha Schwenk beteiligte sich ebenfalls mit einem Referat: „Berufliche und soziale Aspekte bei JIA und Adoleszenz“.