Stretching
Egal, ob beim Schuhebinden oder beim Griff nach der Kaffeedose, die oben im Schrank steht: Beweglichkeit ist das A und O bei der Bewältigung des Alltags. Stretching kann dabei helfen, mobil und beweglich zu werden oder zu bleiben.
Hinter dem Begriff Stretching verbergen sich verschiedene Methoden, mit denen sich die Beweglichkeit in den Gelenken verbessern lässt. Umgangssprachlich sprechen wir von einer Muskeldehnung. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen aber, dass wir dabei nicht den Muskel an sich dehnen. Stattdessen zielt das Stretching auf bindegewebige, elastische Strukturen wie Faszien, Bänder und Sehnen. Spezialisierte Nervenzellen, die sich in den Muskeln und Gelenken befinden, werden dabei mitgedehnt und melden den entsprechenden Reiz an unser Gehirn.
Mehr Toleranz und Spielraum
Nervenzellen lösen jede Bewegung unseres Körpers aus und kontrollieren sie. Ihre Kontrolle führt dazu, dass unsere momentane Beweglichkeit eingeschränkt ist – zum Schutz vor Überlastungen. Mit regelmäßigem Dehnen werden diese Strukturen toleranter. Sie erlauben dann in den betreffenden Gelenken eine größere Beweglichkeit. Die wiederkehrenden Dehnreize sorgenauch dafür, dass das Bindegewebe zusätzliche Fasern einlagert.
Dadurch wird es kräftiger und hält höhere Spannungen aus. Wie bei einem dickeren Gummiband, das im Vergleich zu einem dünneren Gummi weiter in die Länge gezogen werden kann, ohne zu reißen. Dehnen ist eine Möglichkeit, Gelenke mobiler zu machen – vorausgesetzt, es liegen keine sonstigen Einschränkungen vor, etwa eine Versteifung oder operationsbedingte Probleme. Um die Beweglichkeit zu verbessern, muss man an seiner persönlichen Dehngrenze trainieren. Ähnlich wie bei der Maximalkraft besitzt unser Körper auch bei der Dehngrenze eine Notfallreserve. Willentlich und selbst gesteuert können wir unseren Muskel durch Stretching nicht verletzen. Nur wenn äußere Kräfte mit ins Spiel kommen, etwa bei einem Sturz, schöpft der Körper diese Reserve aus.
Verschiedene Methoden
In den Sportwissenschaften gab es in den letzten Jahrzehnten viele unterschiedliche Ansichten, wie effektives Dehnen am besten erfolgen sollte. Es gibt verschiedene Methoden, die sich auch kombinieren lassen.
Statisches Dehnen bedeutet, dass man eine Dehnposition zwischen 10 und 45 Sekunden hält. Beim dynamischen Dehnen führt man in der Dehnposition eine sanfte, rhythmische Bewegung im betreffenden Gelenk aus, ähnlich, wie man es früher als Wippen oder Federn propagiert hat. Einige Zeit lang war diese Methode verpönt, doch heute ist sie wieder ein akzeptierter Bestandteil eines Dehntrainings.
Unter aktivem Dehnen versteht man eine Methode, bei der man einen Muskel mithilfe der Gegenspieler in eine Dehnposition bringt. Ein Beispiel: beide Arme seitlich auf Schulterhöhe anheben und dann versuchen, sie hinter dem Rücken zusammenzuführen. Dabei entsteht vorn in der Brustmuskulatur ein Dehnreiz.
Beim passiven Dehnen bringen Hilfsmittel den gewünschten Dehneffekt, etwa Gymnastikbänder, die Hilfe eines Partners, oder man lässt die Schwerkraft für sich arbeiten. Ein Beispiel ist die Wadendehnung an einer Stufe.
Beispiel Wadendehnung
Stellen Sie den rechten Fuß komplett auf eine Stufe, den linken nur mit dem Ballen, sodass die Ferse frei ist. Verlagern Sie nun das Gewicht auf das linke Bein, und lassen Sie die Ferse sinken, sodass sich die Ferse unterhalb der Stufe befindet. Die Schwerkraft zieht nun die Wadenmuskulatur Ihres linken Beines in eine Dehnposition. Diese passive Dehnung können Sie nun dynamisch oder statisch ausführen. Statisch bleiben Sie einige Sekunden in der Dehnung. Für eine dynamische Dehnung heben Sie die Ferse und lassen sie wieder sinken. Achten Sie auf eine sanfte, rhythmische Bewegung.
Anspannen und entspannen
Das sogenannte Anspannungs-Entspannungs-Dehnen gilt als besonders effektiv zum Erhalt und zur Erweiterung der Beweglichkeit. Es wird auch Contract-Hold-Relax-Stretching oder Postisometrisches Relaxations-Dehnen genannt und auch in der Rehabilitation eingesetzt. Dabei wird die zu dehnende Muskulatur zunächst angespannt, dann entspannt und anschließend gedehnt.
Ein Beispiel für die Wade: Sie stehen wie oben beschrieben auf einer Stufe. Bevor Sie Ihre Ferse in die Dehnung sinken lassen, steigen Sie zunächst hoch auf den Ballen, als ob Sie einen Stöckelschuh tragen. Das spannt die Muskulatur der Wade an. Dann verlagern Sie kurz das Gewicht auf ihr Standbein und entspannen die Wadenmuskeln. Im Anschluss gehen Sie wie oben beschrieben in die Dehnung, indem Sie die Ferse nach unten sinken lassen und die Dehnung für mehrere Sekunden genießen.
Noch ein Hinweis: Stretching allein hilft nicht dabei, Muskelkater vorzubeugen (mobil 1/2018). Da hilft nur eine langsame Belastungssteigerung und ein gutes Aufwärmen, Dehnübungen können dazugehören. Ansonsten: Stretching hält uns mobil und beweglich und hilft vielen Menschen auch beim Entspannen. Probieren Sie es aus!
Autorin
Nicole Stefan-Schick ist eine Referentin Projekte und Bewegungsangebote, Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband