Wenn Rheuma auf den Nacken schlägt
Rheumatische Erkrankungen können auch die Halswirbelsäule betreffen. Was passiert bei rheumatoider Arthritis, Morbus Bechterew oder Arthrose? Welche Therapien helfen? Gibt es Möglichkeiten vorzubeugen?
Interview mit dem Experten Dr. Brinkmann, Chefarzt des Wirbelsäulenzentrums im St. Josef-Stift Sendenhorst
Herr Dr. Brinkmann, bei welchen rheumatischen Erkrankungen treten häufig Nackenschmerzen auf?
Verspannungen treten natürlich bei allen Menschen auf. Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung bilden da keine Ausnahme. Aber Verspannungen sind ein Symptom, keine Ursache – deshalb sollte man sich bei andauernden Verspannungen anschauen, woher sie rühren. Muskeln verkrampfen sich nicht einfach so. Verspannungen können auch eine Reaktion sein auf kleine Fehlfunktionen der Gelenke. Grundsätzlich kann man bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sagen, dass die Beschwerden bei Morbus Bechterew meist in der Mitte der Wirbelsäule beginnen und sich allmählich Richtung Nacken und Lendenwirbelsäule ausdehnen. Dabei verknöchert schrittweise das vordere Längsband, das vor der Wirbelsäule verläuft. Schließlich verschmelzen die Wirbel miteinander, die Wirbelsäule versteift.
Bei der rheumatoiden Arthritis dagegen ist besonders häufig der Nacken betroffen, und zwar die obersten beiden Wirbel, die wir Mediziner C1 und C2 nennen. Rund um den Dens bildet sich empfindliches Gewebe. Entzündungen können das Gefüge aus Bandscheibe, Wirbelgelenken und Muskulatur attackieren. Die Natur versucht, das betroffene Gelenk zu stabilisieren, indem sie zu sätzliche Knochensubstanz anlagert. Arthrose und Muskelverspannungen können die Folge sein. Eine schmerzende Nackenmuskulatur bei rheumatoider Arthritis oder Morbus Bechterew deutet also nicht unbedingt nur auf haltungsbedingte Verspannungen hin, sondern kann Probleme anzeigen, die sich in der Tiefe der Gelenke abspielen. Dabei spielen vor allem die sogenannten Facettengelenke eine Rolle. Diese Gelenke auf der Rückseite der Wirbelsäule dienen der Stabilisierung.
Welche Therapien helfen in solchen Fällen?
Üblicherweise behandelt der Orthopäde zunächst die Symptome, also die Verspan-nungen in den Muskeln. Dabei ist manuelle Therapie besonders hilfreich. Auch Massage und insbesondere Wärmeanwendungen zeigen gute Erfolge. Anders als zum Beispiel bei rheumabedingten Knieschmerzen, bei denen Entzündungen im Vordergrund stehen, kann man im Nacken mit Wärme viel bewirken: Sie trägt dazu bei, die Spannungen im Muskel zu senken. Reicht das nicht aus, setzen wir an den Facettengelenken an. Dazu spritzt der Facharzt ein Betäubungsmittel rechts und links an das Gelenk.
Kortison kommt eher selten zum Einsatz. In manchen Fällen lassen sich die Schmerzen auf diese Weise aber nur für zwei bis drei Stunden zurückdrängen. Dann kann der Arzt eine Denervation erwägen. Dabei verödet er die Nerven, die vom Facettengelenk ins Gehirn ziehen und auf diesem Weg den Dauerschmerz melden. Diese Struktur erhitzt er mit einer speziellen Sonde auf über 60 Grad. Anschließend kann der Nerv den Schmerzreiz nicht mehr weiterleiten.
Können Betroffene selbst etwas dafür tun, Nackenproblemen vorzubeugen?
Ja! Es ist hilfreich, die Nackenmuskulatur gezielt zu kräftigen. Die Muskulatur kann die Wirbelsäule mit stabilisieren, wenn die Gelenke instabil werden. Dazu sollten Betroffene unter physiotherapeutischer Anleitung kräftigende Übungen erlernen oder an Kraftgeräten ausüben.
Manchmal tragen Betroffene eine Halskrause. Wann ist das sinnvoll?
Das sind meist Betroffene, die am Übergang von der Halswirbelsäule zum Kopf eine größere Instabilität haben. Anders als an den Facettengelenken, die die Wirbelsäule stabilisieren, erfolgt dort kein Knochenanbau. Stattdessen wuchert entzündliches Pannusgewebe, wie man es auch von Knien oder Handgelenken kennt, und verengt den Spinalkanal, den das Rückenmark durchzieht. Dabei kann es das Rückenmark quetschen oder sogar ganz durchtrennen – eine Querschnittslähmung droht. Deshalb ist es sehr wichtig, den Betroffenen vor einer Behandlung am Nacken zu röntgen, um eine solche Verengung auszuschließen. Ist eine Instabilität vorhanden, kann eine Halskrause vorübergehend die nötige Stabilität bringen. Allerdings sollte man zusätzlich unbedingt die betroffenen Muskeln trainieren. Wer dauerhaft eine Halskrause trägt, riskiert, dass sich die Nackenmuskulatur zurückbildet. Das verschlimmert die Probleme.
Woran merken Betroffene, dass dieses Problem besteht?
Das Tückische ist, dass ein verengter Spinalkanal meist keine Schmerzen verursacht. Betroffene haben eine Zeit lang Schmerzen im Nacken, die dann aber wieder von allein verschwinden. Später macht sich ein verengter Spinalkanal meist durch einen unsicheren Gang bemerkbar oder dadurch, dass der Betroffene Hände und Finger schlechter bewegen kann. Die meisten führen das jedoch auf eine Verschlechterung ihrer rheumatischen Erkrankung zurück. Wir sehen betroffene Patienten meistens zu spät, wenn das Rückenmark an der Halswirbelsäule schon teilweise eingedrückt ist. Leider regenerieren sich diese Nervenbahnen kaum. Deshalb ist es wichtig, bei einer hochgradigen Spinalkanalverengung so früh wie möglich zu operieren.
Wie stellt der Arzt die Diagnose?
Dazu machen wir in der Regel eine Kernspin-Aufnahme, die zeigt, ob das Rückenmark im Nacken noch gut durchblutet ist.
Was passiert bei dem Eingriff?
Bei einer Versteifungs-OP erfolgt der Eingriff von der Halsseite aus. Deshalb muss der Chirurg die betroffene Bandscheibe komplett entfernen und unter mikroskopischer Kontrolle durch ein Implantat ersetzen. So lässt sich der Spinalkanal wieder erweitern.
Gibt es alternative Therapiemethoden, die helfen können?
Neben manueller Therapie hat sich in der Praxis auch die Osteopathie bewährt. Außerdem zeigen Studien, dass Akupunktur bei Hals- und Nackenproblemen hilfreich sein kann - vorausgesetzt, der Spinalkanal ist nicht verengt. Die Kosten für beide Behandlungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nur unter bestimmten Bedingungen – dazu sollte man sich am besten vor Behandlungsbe-ginn bei seiner Versicherung erkundigen.
Haben Sie noch einen Rat für Betroffene mit Nackenschmerzen?
Manche Patienten sind sehr zurückhaltend, was die Einnahme von Schmerzmitteln betrifft. Ich möchte an dieser Stelle gerne eine Lanze für die Medikamente brechen: Wer akute Nackenschmerzen hat, kann ruhig für eine Woche oder zehn Tage ein Schmerzmittel wie ein nicht-steroidales Antirheumatikum einnehmen. Es hilft dabei, den Schmerz zu unterdrücken und drängt den Reizzustand und eine etwaige Entzündung gut zurück. Ein Schmerzmittel hilft in solchen Fällen auch, aus den Schonhaltungen herauszu-kommen, die die Muskeln oft zusätzlich verspannen. Außerdem sollten insbesondere jüngere Betroffene möglichst auf Kontaktsportarten wie Basketball oder Judo verzichten.