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Gendermedizin in der Rheumatologie: Diagnostische Herausforderung

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Eine Frau und ein Mann gehen an einem Strand spazieren.
Wie äußern sich Erkrankungen im Anfangsstadium? Welche Beschwerden haben Frauen, welche Männer? Diesen Fragen geht die Gendermedizin auf den Grund.

Obwohl mehr Frauen als Männer mit einer rheumatischen Erkrankungen leben, warten sie statistisch gesehen immer noch länger auf Diagnose.

Dass rheumatische Erkrankungen mehrheitlich Frauensache sind, ist hinlänglich bekannt. Dennoch warten Frauen statistisch gesehen immer noch länger auf ihre korrekte Diagnose und Behandlung.

Ein multifaktorielles Problem, betont Rheumatologin Dr. Susanna Späthling-Mestekemper aus München. Seit 30 Jahren ist sie Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, seit 1999 in eigener Praxis. Seit rund vier Jahren setzt sie sich mit dem Thema Gendermedizin in ihrem Feld auseinander. Gendermedizin widmet sich den geschlechtsspezifischen Unterschieden, was Erkrankungen angeht – von der Entstehung über die Ausprägung bis hin zum Ansprechen auf mögliche Therapien.

„Dass es uns als Medizinern überhaupt bewusst geworden ist, dass es hier ein Defizit gibt, das ist eine jüngere Entwicklung“, merkt Dr. Späthling-Mestekemper an. „Erst seit zehn bis 15 Jahren hat das Interesse an der Gendermedizin in der Medizin allgemein zugenommen. Fast unser ganzes medizinisches Wissen beruht auf der Kenntnis des männlichen Organismus,
so haben wir es im Studium gelernt.“ Das beginne bereits in der Grundlagenforschung.

„In der Vergangenheit wurden tierexperimentelle Studien fast ausschließlich an männlichen Tieren durchgeführt, um mögliche hormonelle Schwankungen bei weiblichen Tieren zu vermeiden. Erst in den letzten Jahren ist dafür ein beginnendes Bewusstsein aufgekeimt.“ Aus denselben Gründen seien Frauen in klinischen Studien „immer noch gewaltig  unterrepräsentiert.“

Immerhin gebe es erste Bestrebungen, auch von den europäischen und US-amerikanischen Zulassungsbehörden, das zu verändern. „In der Rheumatologie hat es dann nochmals deutlich länger gebraucht als beispielsweise in der Kardiologie oder Endokrinologie, bis das Thema angekommen ist“, ergänzt Späthling-Mestekemper. „Inzwischen habe ich aber den Eindruck, dass wir uns sogar noch mehr mit dem Unterschied zwischen Männern und Frauen bei unseren Krankheitsbildern beschäftigen als manch andere Fachdisziplinen.“

Von der Männerkrankheit zur Herausforderung für alle

Wie äußern sich Erkrankungen im Anfangsstadium? Welche Beschwerden haben Frauen, welche Männer? „Die Erkrankung, die uns bezüglich der Relevanz dieses Themas in der Rheumatologie quasi die Augen geöffnet hat, ist die axiale Spondyloarthritis (axSpA.)“, informiert Späthling-Mestekemper. „Sie galt jahrzehntelang als reine Männersache. Erst das bessere Verständnis des Krankheitsverlaufes – also die Erkenntnis, dass es auch Phasen gibt, in denen röntgenologisch noch keine Veränderungen des Achsenskelettes nachzuweisen sind – hat uns veranlasst, das Krankheitsbild bezüglich eines unterschiedlichen Verlaufes bei Männern und Frauen genauer unter die Lupe zu nehmen.“ 

Dabei zeigte sich, dass Patientinnen viel länger keine radiologischen Veränderungen aufweisen als männliche Patienten. „Wenn doch, dann eher an der Halswirbelsäule und nicht so sehr  in den Iliosakralgelenken, wie wir das bei Männern typischerweise finden und wir das im Studium gelernt haben“, ergänzt Späthling-Mestekemper. Frauen mit axSpA leiden stattdessen eher unter generalisierten Schmerzen und haben eher eine Beteiligung der peripheren Gelenke – also Arme, Beine oder Füße. Das sind Symptome, bei denen Ärzte zuvor nicht direkt an diese Erkrankung dachten.

Was die Diagnostik zusätzlich verkompliziert: Bei Frauen mit axSpA findet sich der Proteinkomplex HLA B27 seltener im Blut. „Damit wurde bei den Frauen unser ganzes  Diagnostikschema für dieses Krankheitsbild infrage gestellt, und das erklärt auch, warum diese Erkrankung bei Frauen in der Vergangenheit unterdiagnostiziert wurde“, erläutert die Rheumatologin. Infolge der neuen Erkenntnisse wird davon ausgegangen, dass die axSpA eine ebenso hohe Prävalenz unter Frauen hat wie unter Männern.

Derzeit sind Gicht und Morbus Behçet diejenigen rheumatischen Erkrankungen, die – dem heutigen Stand der Forschung zufolge – mehrheitlich Männer betreffen. Deutlich mehr Frauen als Männer entwickeln hingegen Lupus erythematodes oder das Sjögren-Syndrom (jeweils im Verhältnis 9:1 bis 10:1), systemische Sklerose (5:1 bis 8:1), Fibromyalgie (7:1) oder rheumatoide Arthritis (2:1 bis 3:1).

Diagnostische Herausforderungen

Wieso aber dauert es bei Frauen häufig länger, bis sie ihre Diagnose kennen? Zum einen liegt das tatsächlich daran, wie die Erkrankungen sich äußern. Erkranken Männer etwa an systemischer Sklerose, erreichen sie schnell eine aktive Erkrankungsphase. Im Blut zeigen sich zudem spezifische Scl-70-Antikörper sowie erhöhte Akute-Phase-Marker. Auch Lunge und Muskeln sind häufig schon zu Beginn der Erkrankung beteiligt. Beim systemischen Lupus erythematodes sind bei Männern häufig bereits früh die Nieren beteiligt. Zudem neigen sie eher als Frauen mit derselben Erkrankung zu kardiovaskulären Komorbiditäten, Krampfanfällen und Thrombosen.

Bei beiden Erkrankungen haben Männer somit keinen wirklichen Vorteil. Wenn sie sie bekommen, dann oft mit schwerem Verlauf. Auch bei der rheumatoiden Arthritis gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen. Die Männer entwickeln als Begleiterkrankungen oft Herzleiden sowie Typ-2-Diabetes, während Frauen eher zusätzlich Osteoporose und/oder Depressionen bekommen.

Blick ins Immunsystem

Woran das liegt, dafür gibt es mehrere Ursachen. „Das Immunsystem von Männern und Frauen ist höchst unterschiedlich, und das könnte die Antwort für verschiedene Ausprägungsgrade und uneinheitliche Symptome von Männern und Frauen sein, die aber an derselben Erkrankung leiden“, glaubt Späthling-Mestekemper. Sie ergänzt: „Ich bin überzeugt, dass sich ein genauerer Blick auf diese Unterschiede bei allen unseren Krankheitsbildern lohnt, auch für die juvenile idiopathische Arthritis. Es gibt erste Veröffentlichungen zu verschiedenen Kollagenosen, der rheumatoiden Arthritis und der Psoriasis-Arthritis. Aber das ist erst ein vorsichtiger Beginn.“

Doch selbst wenn die Verläufe aller rheumatischen Erkrankungen, aufgeteilt nach Geschlechtern, gut erforscht sein werden, bleiben noch gesellschaftliche Normen und Gewohnheiten,
die beeinflussen, wie schnell jemand eine korrekte Diagnose erhält. Schieben Frauen ihre Schmerzen eher auf vorangegangene Schwangerschaften und Geburten, die Wechseljahre
oder das Alter? Sind sie darauf trainiert, trotz Beeinträchtigungen weiter zu funktionieren? Fest steht: Frauen suchen nach dem Auftreten der ersten Symptome einer rheumatoiden Arthritis
später eine Rheumatologin oder einen Rheumatologen auf als Männer. Ein weiterer Faktor kommt erschwerend hinzu, gibt Späthling-Mestekemper zu bedenken.

„In der Kommunikation folgen wir ebenfalls geschlechterspezifischen Stereotypen. Das betrifft sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen und Patienten. Männer beschreiben ihre
Symptome tendenziell geradlinig und nüchtern, sprechen aber ungern oder gar nicht über psychische Belastungen. Frauen dagegen beschreiben oft nicht einfach ihre Symptome, sondern
versuchen, Erklärungen dafür zu finden.“ Das werde von Ärztinnen und Ärzten eher als Drumherumreden wahrgenommen. Eine mögliche Folge: Patientinnen werden mit ihren körperlichen Beschwerden nicht ernst genommen.

Kommunikation im Fokus

Zum Glück lässt sich an der Kommunikation arbeiten. Ärztinnen und Ärzte werden in der Ausbildung und in Fortbildungen inzwischen genauso für die Gendermedizin sensibilisiert wie Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Wenn Patientinnen ihre Symptome notieren und diese vollständig und nüchtern vortragen, wenn Patienten ihre psychischen Beschwerden ebenso wie die physischen äußern, wenn Ärztinnen und Ärzte entsprechend nachhaken und die potenziell geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Symptome derselben Erkrankung im Hinterkopf haben, ist schon viel gewonnen. Dazu braucht es tiefgehende Erkenntnisse darüber, welche Therapie bei wem voraussichtlich wie wirken wird. „Was sich tatsächlich deutlich verbessert hat, ist das Bewusstsein, dass auch das Ansprechen auf medikamentöse Therapien, insbesondere mit Biologika, unterschiedlich bei Männern und Frauen sein kann“, sagt Späthling-Mestekemper.

Studien, die sich mit den unterschiedlichen Reaktionen auf verschiedene Biologikatherapien befassen, werden nun zumeist getrennt für Männer und Frauen ausgewertet. „Daraus werden sich sicherlich neue Erkenntnisse ergeben“, erwartet die Rheumatologin.

Einfluss auf die Therapie

Einige Ergebnisse gibt es bereits. In einer randomisierten Studie zu Psoriasis-Arthritis hatten Männer mehr Vorteile von der Therapie mit dem TNF-Inhibitor Etanercept als Frauen. Eine Auswertung von Daten zur axSpA des spanischen BIOBADASER-Registers zeigte, dass Patientinnen schlechter auf den ersten TNF-Inhibitor ansprachen als Patienten. Einer weiteren Untersuchung zufolge wirken TNF-Inhibitoren bei dieser Erkrankung dann besser, wenn Betroffene HLA-B27-positiv sind und keine Entzündungen an den Ansatzstellen von Bändern oder Sehnen am Knochen, den Enthesen, aufweisen – beides trifft eher auf Männer zu. 

Späthling-Mestekemper betont: „Wir sind noch weit davon entfernt, solche Untersuchungen für alle Medikamente zu machen, vor allem auch für die, die wir schon seit langer Zeit einsetzen. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob solche Medikamente besser geschlechtsspezifisch dosiert werden sollten.“ Dass sich das ändern kann, zeigt das Beispiel Rituximab, zu dem in der Onkologie entsprechend geforscht wurde.

Wo der Weg hinführen soll

Späthling-Mestekemper ermutigt Patientinnen und Patienten dazu, sich über genderspezifische Besonderheiten verschiedener Erkrankungen zu informieren und ihre Ärztinnen und Ärzte auch darauf anzusprechen. Informationen zu einzelnen Erkrankungen sowie zur Gendermedizin in der Rheumatologie finden sich zum Beispiel immer aktuell in den Publikationen der Deutschen Rheuma-Liga. Die Kenntnis kann dazu beitragen, dass genauer hingesehen wird.

„Was wir uns wünschen, ist eine gendersensible, personalisierte Diagnostik und Therapie in der Rheumatologie und damit eine verbesserte Diagnostik und Therapie für Männer und Frauen gleichermaßen“, merkt Späthling-Mestekemper an. „Von diesem Ziel sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Wir müssen in unserem seit Jahren angelernten Wissen umdenken, müssen uns trauen, vieles infrage zu stellen, uns auf neue Wege einlassen, die auch einen erhöhten Aufwand in der Wissenschaft und im medizinischen Alltag bedeuten.“ Sie ermutigt Kolleginnen und Kollegen dazu, „zu versuchen, immer neugierig zu bleiben und uns auf neue Erkenntnisse auch einzulassen. Wir dürfen sie aber durchaus kritisch diskutieren. Davon lebt der Fortschritt in der Medizin.“

Späthling-Mestekemper hat den Eindruck, dass sich die Rheumatologie schon sehr gut auf den Weg gemacht habe. „Der Weg ist aber noch ziemlich weit. Es ist und bleibt spannend, und das finde ich ganz wunderbar, weil Neugierde schon immer eine wichtige menschliche Eigenschaft war, um die Medizin voranzutreiben.“

Autorin: Petra Plaum

Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 2-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).

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