Wenn die Hüfte schmerzt, steckt häufig Arthrose dahinter – aber nicht immer. Prof. Hans-Dieter Carl ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Krankenhaus Martha-Maria St. Theresien in Nürnberg. Mit ihm sprach Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil".
Prof. Carl, was macht unser Hüftgelenk anatomisch so besonders?
Bei der Hüfte wird ein Gelenkpartner in Kugelform in einer Pfanne verankert. Das ermöglicht die Bewegung in viele Richtungen, das gibt es sonst nur an der Schulter. Die Hüfte trägt aber sehr viel mehr Gewicht: Im Einbeinstand können schon mal 400 Kilogramm und mehr auf einem Hüftgelenk lasten.
Wenn jemand Schmerzen im Hüftbereich hat – ist dann immer automatisch das Hüftgelenk schuld?
Wenn Menschen über Hüftschmerzen klagen, kann ein bunter Strauß von Ursachen dahinterstecken. Nicht jeder Hüftschmerz weist automatisch auf ein Gelenkproblem hin. So können sich etwa Schmerzen in der Hüfte zeigen, die von der Wirbelsäule ausgehen, etwa durch Verschleißerscheinungen. Eine weitere Möglichkeit sind Brüche – zum Beispiel ein Leistenbruch, ein Bruch im Bauchband oder Probleme nach einer Bauchoperation. Das gilt – wenn auch nur sehr selten – gleichfalls für Erkrankungen der Genitalien.
Andersherum gefragt: Verursacht jede kranke Hüfte auch Schmerzen in der Hüfte?
Das ist ebenfalls nicht der Fall. Wir teilen Arthrose in verschiedene Stadien ein, dabei spielt auch das Röntgenbild eine Rolle. Bei der sogenannten stummen Arthrose an der Hüfte sieht man Veränderungen im Röntgenbild, aber die Betroffenen spüren keine oder kaum Schmerzen. Manchmal merken sie jedoch, dass ihre Beweglichkeit schlechter wird, oder es machen sich angrenzende Strukturen schmerzend bemerkbar, zum Beispiel die Lendenwirbelsäule. Zuweilen tut auch das Knie weh.
Bei welchen Bewegungen und wann treten Hüftschmerzen typischerweise auf?
Eine geschädigte Hüfte schmerzt häufig bei Beugung und Innenrotation. Ab einem gewissen Grad geht die Fähigkeit, die Hüfte nach innen zu drehen, völlig verloren. Betroffene zeigen einen typischen Gang, bei dem die Füße nach außen zeigen. Viele können noch gut im Schneidersitz sitzen, haben aber Probleme beim Socken anziehen, die Innendrehung braucht man ja im Alltag nicht so oft. Aber auch eine tiefe Beugung fällt zunehmend schwer.
Gibt es weitere Hinweise, die eine Hüftarthrose signalisieren?
Bei Arthrose beobachten wir an allen betroffenen Gelenken einen sogenannten Anlaufschmerz: Das Aufstehen tut weh und vielleicht noch die ersten Meter, dann ist es besser, oder der Schmerz kehrt als Belastungsschmerz erst nach längerer Gehstrecke zurück. Für die Abgrenzung zu entzündlichen Erkrankungen sind zwei Dinge wichtig – die sogenannte Morgensteifigkeit und nächtliche Schmerzen sowie Schmerzen in Ruhe. Arthroseschmerz dagegen ist klassischerweise ein Belastungs- und Anlaufschmerz.
Welche Rolle spielen Sehnen, Bänder und die umgebende Muskulatur für die Schmerzen?
Bei Arthrose liegt das eigentliche Problem im Gelenk: Der Gelenkknorpel ist geschädigt, also die lasttragende, biomechanische „wertvolle“ Schicht. Das führt zu Einschränkungen der Beweglichkeit, die Muskeln verkürzen sich, werden schwächer. Ein Physiotherapeut kann helfen und verkürzte Muskeln dehnen und Übungen zur Kräftigung der Muskulatur zeigen.
Wir versuchen auch, eine durch Schonung geschwächte Muskulatur zu kräftigen und möglichst die Beweglichkeit zu verbessern. Das gilt ebenso im Rahmen einer Prärehabilitation für die Vorbereitung für eine Totalendoprothesenoperation. Betroffene sollten sich unter fachkundiger Anleitung so bewegen, wie das Gelenk es erlaubt. Wenn jemand schon sehr große Schmerzen und Einschränkungen hat, darf man allerdings nicht zu viel verlangen.
Wie häufig ist die Hüfte bei rheumatischen Erkrankungen mitbetroffen?
Aufgrund der guten antientzündlichen Therapien heutzutage sehen wir kaum noch unbehandelte Arthritispatientinnen und -patienten. Lässt man eine rheumatoide Arthritis unbehandelt, wird mit über 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch das Hüftgelenk betroffen. Bei Arthrose ist das lebenszeitabhängig – zehn bis 15 Prozent bekommen irgendwann zudem Hüftprobleme.
Gibt es hüftfreundliche/hüftunfreundliche Bewegungen im Alltag oder Sportarten, die der Hüfte mehr schaden als nutzen?
Es gibt Sportarten, die allgemein als gelenkbelastend eingestuft werden. Für die Hüfte sind das alle Sportarten, die auf hartem Boden beziehungsweise auf dem Hallenboden ausgeübt werden, also insbesondere Leistungshandball, Leistungsvolleyball und Leistungsfußball. Radsportler haben deutlich seltener Hüftprobleme. Schwimmen wird als eher hüftfreundlich gewertet, Yoga gegebenenfalls auch – Dehnübungen sind nicht verkehrt. Man muss keine Akrobatik können, aber man sollte versuchen, das natürliche Bewegungsausmaß zu halten.
Bei Kindern hört man häufiger die Diagnose Hüftschnupfen, gibt es das wirklich? Kann das auch im Erwachsenenalter auftreten?
Hüftschnupfen gibt es tatsächlich. Darunter versteht man eine Erkrankung des jungen Kindesalters, und zwar eine ganz leichte Entzündung der Hüfte, die als Folge von Husten, Schnupfen und Heiserkeit auftritt. Medikamente können helfen. In der Regel heilt ein Hüftschnupfen innerhalb einiger Wochen ohne Folgen aus. Im Erwachsenenalter kennt man die sogenannte reaktive Arthritis, die nach Atemwegsinfekten oder Entzündungen im Urogenitalbereich auftreten kann.
Wir kennen mittlerweile einige Krankheitserreger, die dies verursachen. Als Ursache wird eine Fehlschaltung des Immunsystems angenommen. Eine reaktive Arthritis kann ein bis zwei Jahre dauern und heilt ebenfalls meist folgenlos aus – allerdings betrifft sie eher das Kniegelenk, seltener die Hüfte.
Was versteht man unter einem Impingement an der Hüfte?
Aus meiner Sicht ist das ein bisschen eine Modediagnose. Unter Impingement versteht man ein Einklemmungsproblem. Die Verfechter dieses Krankheitsbilds gehen davon aus, dass sich die beiden Gelenkpartner untereinander einklemmen können. In der Fachwelt ist das umstritten, auch, weil die Studienlage nicht eindeutig ist und man die Beschwerden nicht zweifelsfrei den Röntgen- oder MRT-Befunden zuordnen kann.
Es gibt ein paar ausgeprägte Formen, bei denen die Diagnose vermutlich eine Berechtigung hat. Schuld sind entweder die erbliche Veranlagung oder Verletzungen. Manche Ärztinnen und Ärzte stellen diese Diagnose auch nur aufgrund von Bildern der Hüfte und vertreten die Meinung, dass ein unbehandeltes Impingement später Arthrose befeuert. Aber die Meinung ist nicht in allen Kreisen akzeptiert.
Wenn jemand Schmerzen hat, kann man natürlich operieren. Aber wenn ein solcher Eingriff erfolgen soll, ohne dass Symptome vorliegen, nur, um mögliche Folgeschäden zu vermeiden – das muss man sich gut überlegen.
Wie häufig ist eine Hüftkopfnekrose, und wie äußert sich diese? Gibt es dafür Risikofaktoren?
Bei einer Hüftkopfnekrose geht die Kugel an der Hüfte kaputt – aber nicht etwa durch einen Sturz, sondern in Folge einer Stoffwechselstörung, meist aufgrund einer zu geringen Durchblutung.
Die Hüftkugel wird im Wesentlichen durch ein sehr kleines Blutgefäß versorgt. Wenn dieses Blutgefäß geschädigt wird, geht die Hüftkugel kaputt. Betroffene merken das, weil die Beschwerden sehr plötzlich beginnen. Innerhalb von Sekunden setzt der Schmerz ein. So eine Durchblutungsstörung tut weh – wie ein zu enger Skischuh und egal bei welcher Bewegung, im Sitzen, Stehen oder Liegen. Bei einer drohenden Hüftkopfnekrose muss man unbedingt rasch zum Arzt. Wartet man zu lange, braucht man schon innerhalb von kurzer Zeit
einen neuen Hüftkopf.
Wie kann man einer Hüftkopfnekrose vorbeugen?
Die meisten dieser Erkrankungen treten schicksalshaft auf, eine echte Vorbeugung gibt es nicht. Gerätetaucher haben beim Auftauchen aus der Tiefe schon mal zu viel Stickstoff im Blut, der dann eine Hüftkopfnekrose auslösen kann. Große Mengen Alkohol und hohe Kortisondosen sind ebenfalls mögliche Auslöser.
Wie häufig ist heutzutage noch eine Hüftdysplasie, und welche Beschwerden gehen darauf zurück?
Dank unserer Vorsorgeuntersuchungen wird heutzutage eine Hüftdysplasie hierzulande meist schon im Babyalter erkannt. Dabei handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung der Hüftpfanne. Unbehandelt ist eine Hüftdysplasie ein großer Risikofaktor für vorzeitige Arthrose. Betroffene Kinder erhalten meist Spreizhöschen oder in schwereren Fällen einen Gips, operiert werden muss nur selten.
Ist eine Osteoporose ein Risikofaktor für Destruktionen an der Hüfte?
Ja –, aber nur für sturzbedingte und unfallbedingte Schäden. Wenn Sie eine Osteoporose haben und stürzen, besteht die erhöhte Gefahr für hüftnahe Knochenbrüche, die eine Operation erfordern Häufig bricht bei einem Sturz der Oberschenkelhals, also die Verbindung vom Oberschenkelknochen zur Hüftkugel. Je nachdem, wo der Bruch erfolgt, kann man diesen mit einem Nagel stabilisieren, oder es muss eine künstliche Hüfte eingesetzt werden.
Können Verletzungen, die man irgendwann im Leben erlitten hat, eines Tages Hüftprobleme verursachen?
Ein Bruch, bei dem das Hüftgelenk direkt betroffen ist, kann natürlich das Hüftgelenk schädigen oder nicht folgenlos ausheilen. Alle Verletzungen an der Hüfte, an Hüftkopf oder Pfanne bergen somit die Gefahr, dass dort später Arthrose entsteht. Deshalb sollte man Verletzungen immer zeitnah und bestmöglich versorgen lassen.
Last but not least: Wenn die Hüfte (plötzlich) schmerzt – was sollte man dann als Patientin oder Patient tun?
Wir Ärzte können keinen festen Zeitraum angeben, nach dem man unbedingt zum Arzt gehen muss. Ich finde, dass jeder Gelenkschmerz spätestens nach zwei Wochen abgeklärt werden sollte, aber das hängt auch von der Stärke und der Dauer der Schmerzen ab.
Wenn akute Bewegungseinschränkungen vorliegen, weil Gelenke blockieren, begibt sich eigentlich jeder rasch in medizinische Behandlung. Sind die Schmerzen erst seit Kurzem vorhanden und sehr stark, sollte man unbedingt zum Arzt gehen. Wer schon länger Schmerzen hat und möglicherweise die Ursache kennt – etwa wegen einer entzündlichrheumatischen Grunderkrankung –, sollte ebenfalls abklären lassen, wenn sich der Schmerzcharakter wandelt oder Hinweise auf eine Infektion bestehen. Allerdings kann man nicht alle Ursachen über einen Kamm scheren.
Wenn die Beschwerden akut beginnen, oder eine Gelenkblockade vorliegt oder akute Entzündungszeichen mit Schmerz, Schwellung, Rötung, Überwärmung und Druckempfinden vorliegen, sollte man lieber in die Sprechstunde, gegebenenfalls auch zur ärztlichen Notaufnahme. Wer eine entzündlich-rheumatische Grunderkrankung hat, sollte sich möglichst einen rheumatologisch geschulten Orthopäden oder ein entsprechendes Spezialzentrum für operative Rheumatologie suchen.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 3-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).