Ein gesundes Immunsystem schützt den Körper vor Krankheiten. Dabei wehrt es nicht nur Bakterien und andere Keime ab, sondern auch Gefahren, die im Körper entstehen. Täglich entwickeln sich im Körper eines jeden Menschen Krebszellen. Das Immunsystem zerstört sie aber, bevor sie sich vermehren und Krebs als Erkrankung verursachen.
T-Zellen als Wächter
Die Tumorabwehr läuft so ab: Spezialisierte Immunzellen, sogenannte T-Zellen, überwachen die Identität von Körperzellen, damit der Körper schnell reagieren kann. Dazu haben sie „Empfänger“ auf ihrer Oberfläche, die Checkpoints. Diese verbinden sich mit bestimmten Merkmalen, einer Art Ausweis auf der Oberfläche der umgebenden Zellen. Wenn die Immunzellen ein Merkmal als Gefahr erkennen, greifen sie diese Zellen an, zerstören sie und beseitigen den Zellabfall. Wächst bereits ein Tumor, können Abwehrzellen weitere Abwehrzellen alarmieren, um den Tumor wirksamer zu bekämpfen. Zwei Dinge sind dabei besonders wichtig: Erstens richten Immunzellen beim Angriff keine Schäden in gesunden Zellen an.
Zweitens kehren die Immunzellen nach dem Kampf wieder in ihren Ruhezustand zurück. Trotz dieser wirksamen Schutzmechanismen erkranken 45 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens an Krebs. Mit zunehmendem Alter funktioniert das Immunsystem schlechter und das Risiko einer Krebserkrankung steigt. Auch Veranlagung, männliches Geschlecht und eine ungesunde Lebensweise spielen eine Rolle. Rauchen ist dabei einer der größten (vermeidbaren!) Risikofaktoren.
Zu viel Abwehr schadet
Wenn das Immunsystem ständig zu aktiv ist, werden gesunde Zellen geschädigt. Eine überschießende Immunabwehr führt zu Autoimmunerkrankungen, zu denen auch entzündlich-rheumatische Erkrankungen gehören.
Ein überaktives Immunsystem schützt leider nicht automatisch vor Krebs. Wenn sich Immunzellen zu oft teilen, können dabei auch Krebszellen entstehen. Deswegen kommt es bei vielen Autoimmunerkrankungen häufiger zu Blut- oder Lymphdrüsenkrebs, wenn die Krankheit nicht richtig behandelt wird. Dieses Risiko ist bei bestimmten Krankheiten bekannt, zum Beispiel bei rheumatoider Arthritis und primärem Sjögren-Syndrom.
Zugleich können bei Autoimmunerkrankungen Immunzellen auch Krebszellen übersehen, statt sie zu bekämpfen. Bei Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kommt beispielsweise weißer Hautkrebs häufiger vor als bei gesunden Menschen.
Auch wenn die Immunantwort ausbleibt oder zu schwach ist, werden Krebszellen nicht mehr zuverlässig zerstört. Der Tumor wächst. Es gibt viele Gründe dafür. Einige davon sind angeboren, andere erworben. Manche Medikamente, zum Beispiel Immunsuppressiva, können das Problem ebenfalls verursachen. Das gilt vor allem für Immunsuppressiva, die hoch dosiert werden, etwa nach einer Transplantation.
Auch in der Rheumatologie kommen diese Präparate zum Einsatz, wenn die Krankheit zum Tod führen würde oder Organe zerstören könnte. Ansonsten werden die meisten Therapien in der Rheumatologie als weitgehend sicher bewertet, was Krebs betrifft.
Mit einer wichtigen Ausnahme: Alle erhöhen das Risiko für weißen Hautkrebs. Rheumapatienten sollten daher unabhängig von ihrer Behandlung regelmäßig zum Hautscreening gehen.
Tarnkappe für Krebszellen
Die Krebszellen selbst können den Angriff der Immunzellen abschwächen, indem sie diesen hemmen oder sich unsichtbar für das Immunsystem machen. In den letzten Jahren wurden viele neue Krebsmedikamente zugelassen, die diese Schutzmechanismen der Krebszellen außer Kraft setzen.
Allen voran sind hier die sogenannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren zu nennen. Diese Medikamente sind zum Beispiel bei schwarzem Hautkrebs, Lungenkrebs und vielen anderen Krebsarten zugelassen. Weil sie bei der Krebsbekämpfung sehr erfolgreich sind, werden sie immer häufiger und früher eingesetzt. Die Wirkung der Immun-Checkpoint-Inhibitoren beruht darauf, dass sie an die Checkpoints andocken, also den speziellen Empfängern der T-Zellen.
Dadurch aktivieren sie die ausgebremsten T-Zellen, damit diese die Krebszellen wieder erkennen und bekämpfen.
Nachhilfe fürs Immunsystem
Immun-Checkpoint-Inhibitoren aktivieren die Immunzellen sehr stark. Dadurch kommen bei etwa 90 Prozent der Patientinnen und Patienten Nebenwirkungen vor, die durch das Immunsystem selbst verursacht werden. Fachkräfte sprechen von immun-vermittelten Nebenwirkungen, auf Englisch: immune-related adverse events. Diese ähneln bekannten Autoimmunerkrankungen oder sind Schübe vorbestehender Autoimmunerkrankungen.
Rheumatologinnen und Rheumatologen behandeln immer häufiger Patientinnen und Patienten, die wegen einer Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren zu ihnen kommen. Rheumatische Nebenwirkungen treten bei etwa jedem zehnten bis zwanzigsten Betroffenen unter dieser Therapie auf. 80 Prozent von ihnen hatten zuvor keine rheumatischen Beschwerden.
Die meisten dieser Patientinnen und Patienten haben auch nach Abschluss der Krebstherapie weiterhin entsprechende Symptome. Zugleich zeigt sich, dass Betroffene mit diesen Nebenwirkungen oft besser auf die Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren ansprechen.
Folgen fürs Rheuma
Auch Rheumapatientinnen und -patienten, die wegen ihrer zusätzlichen Krebserkrankung Immun-Checkpoint-Inhibitoren erhalten, können solche Nebenwirkungen erleiden. Bei etwa 40 Prozent der Betroffenen kommt es zu einem Schub oder einer Verschlechterung der bekannten Rheumaerkrankung. Bei etwa 40 Prozent von ihnen treten Nebenwirkungen auch an anderen Organen auf.
Die Komplikationen sind aber meistens gut behandelbar, und der Tumor spricht ebenso gut an wie bei Menschen ohne Autoimmunerkrankung. Allerdings erhalten Rheumabetroffene deutlich seltener Immun-Checkpoint-Inhibitoren als Krebspatienten ohne Rheuma. Andersherum erhalten Rheumapatienten oft keine wirksamen Medikamente gegen ihre Rheumaerkrankung (mehr), wenn sie auch an Krebs erkranken. Außerdem nehmen sie meist weder an Rheuma- noch an Krebsmedikamentenstudien teil, weil die jeweils andere Erkrankung oft ein Ausschlusskriterium darstellt.
Die bestehenden Krebsregister erfassen leider nicht, ob die Patientin oder der Patient noch andere Krankheiten hat. Es gibt daher viele offene Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit der Medikamente bei den Betroffenen. Auch ist noch nicht viel bekannt über die Wechselbeziehung der beiden Erkrankungen. Das verunsichert die Betroffenen und ihre Ärztinnen und Ärzte sehr.
Oft werden die beiden Erkrankungen dann falsch, zu wenig oder gar nicht behandelt. Das gilt auch für Krebspatienten, die erst durch die Therapie rheumatische Beschwerden bekommen haben. Die Kombination beider Erkrankungen ist somit für die Betroffenen sehr belastend. Sie führt zu Schmerzen, Leid und den Verlust an Lebenserwartung, Lebensqualität, Alltagsfunktionen und Teilhabe.
Autorin: Dr. Karolina Gente. Die Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie ist seit Januar 2020 als Leitende Studienärztin der rheumatologischen Studienzentrale am Universitätsklinikum Heidelberg tätig.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 2-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).
Beratung für Betroffene
Rheuma – und jetzt auch noch Krebs? Die Rheumatologin Dr. Karolina Gente forscht zu diesem Thema und bietet telemedizinische Sprechstunden an. Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", sprach mit ihr.
Frau Dr. Gente, wie ist es für einen Menschen mit einer chronischen Rheumaerkrankung, zusätzlich noch die Diagnose Krebs zu erhalten?
Das ist in der Regel sehr belastend und für Betroffene noch viel belastender, als wenn jemand keine chronische Erkrankung hat. Man muss natürlich unterscheiden – so ist die Diagnose eines weißen Hautkrebs in der Regel nicht sehr folgenreich. Aber bei Krebsarten, die das Potenzial haben, zu streuen, kommt es häufig bei der Basistherapie der Rheumaerkrankung zu Einschnitten. Therapien, die gut funktioniert haben, werden oft abgesetzt, und die Rheumaerkrankung flammt wieder auf. Auch bei der Krebstherapie ergeben sich durch die rheumatische Erkrankung mitunter Nachteile bei der Wahl des Medikaments.
Leider wissen wir nur sehr wenig über Menschen, die eine Rheumaerkrankung haben und gleichzeitig an Krebs erkrankt sind.
Stimmen sich die Onkologen mit den Rheumatologen ab?
Leider erfolgt diese Abstimmung nicht immer in dem Ausmaß, in dem es wünschenswert ist. Viele Rheumatologinnen und Rheumatologen haben zu wenig Erfahrung in der Betreuung von Betroffenen, die beide Erkrankungen haben, und wissen zu wenig über moderne, innovative Krebstherapien. Deshalb fungiere ich in unserer Region als Ansprechpartnerin und stelle fest: Wenn man miteinander redet, ist plötzlich vieles möglich – auch der Einsatz modernster Therapien. Man sollte mit dem Einsatz der wirksamen Waffen nicht warten, bis die Erkrankung schon fortgeschritten ist.
Wie können Sie als Ärztin durch Ihr neues Angebot helfen?
Ich biete die Bereitschaft an, mir individuell jeden Fall mit all seinen Besonderheiten anzusehen und mich hineinzudenken. Ich bin froh, dass ich mir an unserer Universitätsklinik die Zeit dafür nehmen kann, Zugang zu allen aktuellen Studien habe und mich überdies in verschiedenen Gremien national und international vernetzt habe, etwa in der europäischen Rheuma-Liga EULAR.
Was ist dazu nötig?
Damit ich mich individuell auf eine Beratung vorbereiten kann, benötige ich einige Unterlagen von den Betroffenen. Außerdem eine Überweisung von der Haus- oder Fachärztin beziehungsweise dem Haus- oder Facharzt.
Der Text und das Interview erschienen zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 2-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).