Seit 30 Jahren arbeiten über 200 Mitarbeiter am Deutschen RheumaForschungszentrum (DRFZ) daran, Entzündungsprozesse auf allen Ebenen zu entschlüsseln. Welche wichtigen Ziele verfolgen die Wissenschaftler, welche neuen Ansätze gibt es? Darüber sprach die Mitgliederzeitschrift mobil mit DRFZ-Leiter Prof. Andreas Radbruch.
Herr Professor Radbruch, warum ist das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum wichtig für alle Menschen, die eine rheumatische Erkrankung haben?
Das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum ist für sie aus zwei Gründen wichtig: Erstens, weil wir versuchen, Therapien zu entwickeln, die eine sogenannte therapiefreie Remission ermöglichen. Betroffene benötigen dann eine Behandlung nur über einen bestimmten Zeitraum, die sie später absetzen können und danach haben sie keine Beschwerden mehr. Zweitens überwachen wir, ob die heutigen Therapien optimal eingesetzt werden. Unsere epidemiologische Abteilung überwacht, welche Nebenwirkungen bei bestimmten Therapien auftreten, und geht der Frage nach, bei wem welche Medikamente am besten anschlagen. Damit tragen wir dazu bei, die Versorgung der Rheumapatienten zu optimieren.
Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Forschung?
Vor zwei Jahren haben wir eine neue Abteilung aufgebaut, die sich mit Arthrose beschäftigt, also einer degenerativen rheumatischen Erkrankung. Ansonsten liegt unser Schwerpunkt im Augenblick auf den chronischentzündlichen rheumatischen Erkrankungen. 20 Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit entzündlichen Erkrankungen, vor allem rheumatoider Arthritis, Lupus erythematodes, Sklerodermie und Vaskulitiden. Unser Ziel ist immer noch die „Heilung“, also die therapiefreie Remission.
Gibt es zurzeit einen besonders vielversprechenden Ansatz?
Wir versuchen zurzeit, die Zellen dingfest zu machen, die die chronische Entzündung vorantreiben. Aber wir wissen noch nicht einmal genau, welche Zelltypen überhaupt daran beteiligt sind. Einen Zelltyp haben wir bereits entdeckt, die langlebigen Plasmazellen, die krankmachende Antikörper produzieren. Nun versuchen wir, einen Ansatzpunkt zu finden, diese Zellen möglichst elegant und selektiv loszuwerden. Dazu müssen wir wissen, wie diese Zellen leben, ihren biologischen Werdegang studieren und ganz präzise auf der molekularen Ebene verfolgen, welche Gene diese Zellen benutzen: Wie überleben sie? Wie treiben sie die Entzündung voran? Wenn wir das wissen, wollen wir herausfinden, wie die krank machenden Plasmazellen gezielt entfernt werden können. Wir wollen nur die Plasmazellen aus dem Verkehr ziehen, die die Entzündung befeuern – und zwar dauerhaft, aber nicht die „gesunden“ Plasmazellen. Unser Ziel ist eine neue Klasse von Biologika: Wir wollen nicht nur Entzündungsbotenstoffe neutralisieren, sondern deren Produzenten unschädlich machen, also die Hintermänner der Entzündung. Das ist deshalb kompliziert, weil wir auch verhindern müssen, dass der Körper diese Zellen neu bildet. Dieses Ziel reicht weit über das hinaus, was wir zurzeit an Therapiemöglichkeiten haben.
Das klingt sehr theoretisch. Wie nah sind Sie denn dran am Patienten?
Das Besondere am DRFZ ist, dass die Hälfte von unseren Arbeitsgruppen sogenannte Liaisongruppen sind: Viele Teamleiter sind Ärzte von der Charité. Deshalb sind an nahezu jedem Forschungsprojekt auch Ärzte beteiligt, die regelmäßig betroffene Patienten sehen und sie auch versorgen. Darüber hinaus haben wir sehr enge Verbindungen zu den rheumatologischen Zentren in Erlangen, Freiburg und Hannover. Ehemalige Mitarbeiter von uns leiten jetzt die Rheumatologie der Universitäten in Kiel und Lübeck. Wir sind also sehr eng mit den deutschen Kliniken vernetzt – und darüber hinaus auch international in einem europaweiten Forschungsnetzwerk namens RTCure. Der enge Kontakt zu Ärzten in der Praxis stellt sicher, dass unsere Forschung sich an den Bedürfnissen der Patienten und den klinischen Herausforderungen orientiert. Wir forschen also nicht im Elfenbeinturm.
Unsere Kontakte zu Kliniken nutzen wir auch, um Zellkulturen von Patienten zu gewinnen: Wir bitten Betroffene an der Charité oder einer unseren kooperierenden Kliniken darum, dass wir eine Probe bekommen – etwa, wenn eine Gelenkpunktion oder eine Endoprothesenoperation ansteht. Diese Zellen sind für uns sehr wichtig. Wir erfassen und vergleichen zum Beispiel die Genaktivitätsmuster von Zellen aus kranken und gesunden Gelenken. Das heißt, wir schauen uns an, welche Teil der Erbinformation in diesen Zellen gerade aktiv, und welche stumm sind. Davon erhoffen wir uns Aufschluss darüber, was bei rheumatischen Erkrankungen passiert, denn grundsätzlich verfügen alle Körperzellen über dieselbe Erbinformation. Sie unterscheiden sich nur darin, welche Gene gerade angeschaltet und welche ausgeschaltet sind. Die Rolle der Gene, die in den Zellen aus entzündetem und gesundem Gewebe unterschiedlich geschaltet sind, untersuchen wir dann an Zellen im Reagenzglas und in Mausmodellen, in denen wir diese Gene gezielt ausschalten können. Einige Forschungsprojekte sind schon so weit, dass wir sie in experimentielle klinische Versuche für Patienten übersetzen können. Ein Beispiel ist die noch nicht zugelassene Plasmazellentherapie mit Bortezomib bei schwerem Lupus erythemadodes.
Vor drei Jahren wurde das Pitzer-Labor eingerichtet. Gibt es schon neue Erkenntnisse aus dem Bereich regenerative Arthroseforschung?
Dieses Labor ist das Kernstück unserer neuen dritten Forschungsabteilung, die sich der Erforschung der Arthrose widmet. Unsere Wissenschaftler isolieren die knorpelbildenden Zellen aus gesundem Knorpel und aus arthrotischen Gelenken und vergleichen die Genmuster: Welche Abschnitte unserer Erbinformationen sind in welchen Zellen aktiv? Es gibt erste Hinweise darauf, dass die knorpelbildenden Zellen eine Klasse von Stressrezeptoren haben, die bestimmten Rezeptoren von Immunzellen sehr ähnlich sind. Möglicherweise reagieren die knorpelaufbauenden Zellen ähnlich wie Immunzellen auf chemischen Stress, also beispielsweise Gefahrstoffe. Das könnten auch Stoffe von Bakterien und Viren sein. Für uns war das eine große Überraschung, denn bislang gingen wir davon aus, dass Knorpelzellen vor allem unter mechanischem Stress leiden, also beispielsweise Überlastung.
Welchen Stellenwert hat die Versorgungsforschung in Ihrem Haus? Wie sieht die Zukunft dieses Bereichs aus?
Unser Schwerpunkt Epidemiologie und Versorgungsforschung ist sehr langfristig angelegt. Wir werden alle sieben Jahre evaluiert und gehen davon aus, dass wir auch in den künftigen sieben Jahren diese Arbeit auf gewohnt hohem Niveau weiterführen können. Unsere Grundlage sind Beobachtungsstudien, die seit mehreren Jahrzehnten mit Tausenden von Patienten geführt werden. Das ist einzigartig und lässt sich in dieser Form nur an einem Institut der Leibniz-Gemeinschaft durchführen, wie dem Deutschen RheumaForschungszentrum!
mobil sprach mit Professor Radbruch
Prof. Andreas Radbruch ist Zellbiologe und Immunologe und seit 1996 Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin.