Das Bewerbungsgespräch meines Lebens
Der diesjährige Edgar-Stene-Preis geht nach Rumänien: Ein Betroffener schreibt im Siegertext von seinem ungewöhnlichen Vorstellungsgespräch.
Autor: Ovidiu Constantinescu, Übersetzung: Brunhilde Sattel
So, da war ich also … kurz vor dem wichtigsten Vorstellungsgespräch meines Berufslebens. Es ist nicht einfach, den Arbeitsplatz zu wechseln, wenn man in den Fünfzigern ist. Und der Mann, der eine Miene verzog, machte es mir nicht gerade leichter, da er alle Meilensteine meiner Karriere ziemlich genau kannte: meine erfolgreichen Projekte und meine peinlichen Misserfolge.
„Lassen Sie uns ein wenig über die Arbeit sprechen, die Sie vielleicht hier tun werden“, sagte der Mann mit der unbeweglichen Miene. „Okay, aber bevor wir weiterreden, muss ich Ihnen mitteilen, dass ich RA habe“, sagte ich. „Na und?“ Die Augenbrauen des Chefs hoben sich bedrohlich. „Keine Sorge, ich habe auch seit mehr als zwei Jahrzehnten RA. Sie bekommen einen bequemen Stuhl, einen geeigneten Schreibtisch, einen Computer, Kaffeepausen, Pausen, um Ihre Übungen zu machen, und welche anderen Pausen Sie auch immer brauchen, sowie Verständnis für die Tage, an denen Sie zum Arzt müssen“, sagte der Mann ungerührt.
Engagemant für die Patientenorganisation
Der Mann, der keine Miene verzog, irritierte mich. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass er mich irgendwie verstand. „Wissen Sie, ich arbeite ehrenamtlich für die Patientenorganisation der RA-Betroffenen und ich benötige vielleicht dafür von Zeit zu Zeit einen gewissen Spielraum“, setzte ich noch eins rauf. „Oh, das ist ganz okay. Wir sind froh, wenn unsere Angestellten sich engagieren, indem sie anderen weniger Glücklichen helfen, mit dem fertigzuwerden, was das Leben ihnen in den Weg
wirft – RA eingeschlossen. Sie verstehen, wie glücklich Sie dran sind, nicht wahr?“, sagte der Mann, ohne die Miene zu verziehen, und fixierte mich mit einem Röntgenblick, der mir durch und durch ging. „Wir betrachten gesellschaftliches Engagement als Zeichen von Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen, als Teil unserer Unternehmenswerte.“ Ich musste zugeben, dass ich begonnen hatte, den Mann, der keine Miene verzog, zu mögen. So schrecklich war er gar nicht.
„Wie steht es mit dem Gehalt?“, fragte ich. „100 Prozent abhängig von Ihrer Leistung. Wenn ich mir anschaue, was Sie bisher gemacht haben, bin ich 100 Prozent überzeugt, dass Sie das schaffen werden. Um das Gehalt mache ich mir am wenigsten Sorgen“, sagte der Chef und senkte seine Hand gelangweilt. Na ja, vielleicht ist mein Gehalt der letzte Punkt auf Ihrer Sorgenliste, aber bei mir steht er ganz oben! Auf der anderen Seite war sein Vertrauen in meine Fähigkeiten erhebend. „Und das Arbeitsumfeld?“, fragte ich. „Wie – das Arbeitsumfeld?“, fuhr mich der Chef scharf an. „Zunächst einmal: Sie werden allein im Büro sein – Sie werden das Büro leiten, um genauer zu sein. Aber wir freuen uns darauf, mehr engagierte Leute wie Sie einzustellen. Sie sind in der glücklichen Lage, das Arbeitsumfeld so zu gestalten, wie es Ihnen gefällt“, sagte der Mann. „Ich … ich … ich werde das Büro leiten?“, fragte ich unumwunden.
Ein ermutigendes Lächeln
„Oh ja, das werden Sie“, sagte er. „Sie werden Ressourcen planen und Abgabetermine im Auge behalten. Sie werden Kaffee und Tee kochen. Sie werden Präsentationen erstellen. Sie werden den Geschichten der Auftraggeber zuhören und noch bessere Geschichten schreiben. Das ist es, was wir tun: Wir produzieren ‚Texte für Nachrichten‘. Wie gefällt Ihnen unser Motto? Ich habe es ausgesucht“, sagte der Mann stolz und verzog immer noch keine Miene.
„Ich habe Angst, das … das … Büro zu leiten“, flüsterte ich nach einer langen und peinlichen Pause. Dieser Satz schlug ein wie der Asteroid, der die Dinosaurier auslöschte. Aber der Chef lachte nicht. Er war auch nicht abweisend. Er sah mich direkt an und lächelte irgendwie ermutigend. „He, was ist Ihr Problem? Kopf hoch“, sagte er. „Sie werden das Gleiche tun, was Sie in den letzten 20 Jahren oder so getan haben. Sie werden Präsentationen und Reden schreiben. Sie werden Wörter drehen und wenden. Sie werden wunderbare Geschichten schreiben aus langweiligen geschäftlichen Zahlen. Seien Sie tapfer und sehen Sie der Realität ins Auge: Das ist kein Job, es ist eine Chance. Sie können sie annehmen, oder … Sie können sie annehmen!“ Der Mann verzog immer noch keine Miene und äußerte alles, was ich vor Angst nicht sagen konnte – und er nahm kein Blatt vor den Mund. „Es gibt keinen anderen Weg, mein Freund. Sie müssen das Büro leiten. Sie müssen die Firma leiten. Schließlich gehört sie Ihnen. Sie sind viel zu jung, um über Ruhestand oder Verrentung nachzudenken“, sagte der Chef. Dann schlief ich ein.
Nachwort
Gut zwei Jahre sind seit diesem Vorstellungsgespräch vergangen. Bereits am nächsten Tag wachte ich auf und begann, für meine eigene Firma zu arbeiten. Tatsächlich rede ich immer noch manchmal mit diesem Chef, besonders in den Minuten, wenn die besten und kreativsten Ideen über mich herfallen – in den 30 Minuten, kurz bevor ich einschlafe.
Ovidiu Constantinescu lebt seit 1996 mit rheumatoider Arthritis (RA). Seit 2,5 Jahren leitet der gelernte Journalist sein eigenes PR-Unternehmen.
Brunhilde Sattel ist ehemalige mobil-Chefredakteurin.